Wie Massenüberwachung die Demokratie gefährdet

12. Dezember 2013

„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst“, soll Voltaire gesagt haben. Was er damit zum Ausdruck gebracht hat, war seine außerordentliche Wertschätzung der Meinungsfreiheit. Das war im achtzehnten Jahrhundert und zu jener Zeit alles andere als selbstverständlich. Zwei Jahrhunderte später fand der Grundsatz der freien Meinungsäußerung seine verfassungsmäßige Anerkennung und einen Platz in unseren Grundrechten und war damit ein Selbstverständnis. „Meinungs- und Pressefreiheit sind unveräußerliche Grund- und Menschenrechte. Sie sind zugleich das Fundament jeder Demokratie“,  so die heutige Erweiterung Voltairs Ausruf von Markus Löning, aktueller FDP-Politiker und Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe.

Nicht einmal einhundert Jahre später erfährt diese Entwicklung offenbar einen Rückschritt. George Orwells Fiktion scheint allgegenwärtig. Massenüberwachung ist das nicht abreißen wollende Thema. Kaum ein anderes Wort in den Medien ist so sehr negativ behaftet. Dabei soll mit Hilfe von Überwachung doch der Terrorismus bekämpft werden. Wird das, was uns schützen soll, zur Gefahr?

Ganz klar: Ja!, heißt es heute in einem offenen Aufruf von 560 Schriftstellern in 30 bedeutenden Zeitungen weltweit. Unter der Überschrift „Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“ protestieren sie gegen die systematische Überwachung, fordern eine internationale Charta der digitalen Rechte und rufen dazu auf, die Demokratie auch in der digitalen Welt zu verteidigen. Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem Umberto Eco, Peter Sloterdijk, T. C. Boyle, Doris Dörrie und viele weitere. Auch fünf Literaturnobelpreisträger, unter ihnen Günter Grass, gehören zu den Unterstützern.

In vier Punkten fokussieren sie ihre Kritik:

-Überwachung verletze die Privatsphäre und die Gedanken- und Meinungsfreiheit.

-Massenhafte Überwachung behandle jeden Bürger als Verdächtigen und zerstöre somit die historische Errungenschaft der Unschuldsvermutung.

-Überwachung durchleuchte den Einzelnen, während Staaten und Konzerne im Geheimen operieren. Diese Macht werde systematisch missbraucht.

-Überwachung sei Diebstahl. Denn die Daten seien kein öffentliches Eigentum, sie gehören dem Bürger. Wenn sie benutzt werden, um das Verhalten von Menschen vorherzusagen, würde noch mehr gestohlen werden, nämlich der freie Wille, der unabdingbar ist für die Freiheit der Demokratie.

Die sogenannten neuen Medien waren einst ein neuer Schritt in noch mehr Freiheit. Freier Zugang zu freien Informationen und freien Gedanken. Doch wurde uns in den vergangenen Monaten deutlich gemacht, wie wenig frei wir uns tatsächlich in ihnen bewegen. So schrieb in diesem Zusammenhang vor kurzem die Wochenzeitung „der Freitag“ sehr selbstkritisch: „Es verwundert, mit welch reinem Gewissen Politikerinnen und Politiker der westlichen Welt von anderen, nicht-westlichen Regierungen verlangen, dass sie ihren Bürgerinnen und Bürgern ungehinderten und unzensierten Zugang zum Internet gewähren sollen. Dabei wird fein unterschieden: Beschränkt ein Staat das Internet, ist dies Beschneidung von Freiheit und Freiheitsrechten. Späht ein Staat seine Bürger aus, dann dient es dem Schutz vor Terrorismus und sonstigen Gefahren.“

Unter diesen Gesichtspunkten erscheint es fast schon lächerlich, in Gefahr befindliche Freiheitsrechte und Demokratien mit Gesetzen und Aufklärungs-Aufforderungen schützen zu wollen. Doch was tun?

„Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit“, sagte einst George Bernhard Shaw. Vielleicht liegt darin die Lösung. Wenn wir Freiheit nicht nur fordern, sondern auch das Verständnis dafür schärfen, wie wir verantwortungsbewusst mit ihr umzugehen haben, um sie zu erhalten.