Schlagwort: anlasslose Speicherung

Bundestag beschließt Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung

19. Oktober 2015

Am Freitag wurde im Bundestag die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Mit 404 Ja-Stimmen, 148-Nein-Stimmen und 7 Enthaltungen stimmten die Abgeordneten für den Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT-DS 18/5088).

Damit versucht die Bundesregierung erneut die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland einzuführen. Bereits im Jahre 2007 hatte die Große Koalition ein Gesetz verabschiedet, welches Telekommunikationsanbieter verpflichtete, sogenannte Verkehrsdaten für einen Zeitraum von sechs Monaten zu speichern. Die Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung waren schon damals auf scharfe Kritik gestoßen und vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt (BVerfG, 1BvR 256/08 vom 02.03.2010, Rn. 1-345). Im Jahr 2014 urteilte der EuGH (EuGH, 08.04.2014 C-293/12 und C-594/12), dass die Richtlinie 2006/24/EG, welche als europarechtliche Grundlage der Vorratsdatenspeicherung diente, gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt.

Aus den Urteilen des EuGH und Bundesverfassungsgerichts ergibt sich, dass eine anlasslose verdachtsunabhängige Speicherung von Verkehrsdaten nicht per se unzulässig ist. Nach den Vorgaben von EuGH und Bundesverfassungsgericht kann eine Vorratsdatenspeicherung zulässig sein, wenn rechtliche Vorgaben zur Datensicherheit, Form und Zeit der Speicherdauer sowie Verpflichtungen zur Löschung und Ausnahmen für Berufsgeheimnisträger geregelt sind. Trotz des Umstands, dass der Gesetzgeber die höchstrichterlichen Vorgaben bei der Neufassung der §§ 113a ff. des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und §§ 100g f. der Strafprozessordnung (StPO) bedacht hat, erscheint der aktuelle Gesetzesentwurf aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich.

Die jüngst verabschiedeten Regelungen verpflichten TK-Anbieter, Verkehrsdaten ihrer Nutzer für einen Zeitraum von zehn Wochen und Standortdaten für einen Zeitraum von vier Wochen zu speichern. Verkehrsdaten sind unter anderem die Nummern der beteiligten Anschlüsse sowie Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit. Bei Nutzung des Mobilfunks gehören ebenfalls die Standortdaten sowie die IP-Adresse zu den zu speichernden Daten. Nach Ablauf der genannten Speicherfristen müssen die TK-Unternehmen die Daten innerhalb von einer Woche löschen. Die Speicherung der Daten darf nur in Deutschland erfolgen und die Unternehmen sind verpflichtet, durch modernste Technik den höchstmöglichen Sicherheitsstandart der Daten zu gewährleisten. Strafverfolgungsbehörden können grundsätzlich unter Beachtung des Richtervorbehalts und zum Zwecke der Strafverfolgung bestimmter Straftaten auf die Daten zugreifen. Ein Zugriff auf Verkehrsdaten von Personen, die nach § 53 StPO zeugnisverweigerungsberechtigt sind – wie beispielsweise Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Seelsorgern – ist unzulässig. Im Einzelfall ist ein weitergehender Zugriff der Strafverfolgungsbehörden als in den genannten Fällen zulässig. Für die durch die einzelnen Anfragen entstandenen Unkosten sind die TK-Anbieter berechtigt eine Entschädigung zu verlangen.
Auch die der höchstrichterlichen Rechtsprechung angepassten Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung stoßen aus verfassungsrechtlicher Sicht auf Bedenken. Auch bei einer Verminderung der Speicherfrist von sechs Monaten auf zehn bzw. vier Wochen, stellt eine anlasslose und verdachtsunabhängige Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sowie einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Ob diese Grundrechtseingriffe nach Durchführung einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Angemessenheit der Vorratsdatenspeicherung verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind, ist fraglich.

Aus technischen Gründen müssen bei der Speicherung von SMS auch deren Inhalte gespeichert werden. Damit liegt ein besonders intensiver Grundrechtseingriff vor. Auch der Umfang der zu speichernden Daten ist immens. Wie der Verband der deutschen Internetwirtschaft feststellt, ist es wegen der herrschenden Knappheit von IPv4-Adressen zur Individualisierung eines Anschlusses erforderlich, weitere Daten als allein die Verkehrsdaten zu speichern. Damit besteht die Gefahr, dass immer präzisere Profile der Nutzer erstellt werden können. Der im Datenschutzrecht geltende Grundsatz der Datensparsamkeit, hat an dieser Stelle keine Bedeutung mehr. Eine weitere Folge der umfassenden TK-Überwachung sind sogenannte chilling-effects. Diese beschreiben das Phänomen, dass in Folge der Überwachung die Nutzer ihr ursprüngliches freies Kommunikationsverhalten in ein gehemmtes Verhalten verändern. Unter diesem Kritikpunkt ist auch die Regelung zu betrachten, nach der zwar auf die Verkehrsdaten von Berufsgeheimnisträgern nicht zugergriffen werden darf, diese gleichwohl erst einmal gespeichert werden.

Neben einer Einschränkung von Freiheitsgrundrechten der Nutzer ist die Umsetzung der Speicherpflichten für die TK-Unternehmen mit wesentlichen Nachteilen verbunden. TK-Anbieter müssen nun neue Datenbanken anlegen und pflegen und dabei den gesetzlichen Sicherheitsvorgaben entsprechen. Wie hoch die Kosten für TK-Anbieter sein werden, kann die Bundesregierung bislang nicht abschätzen. Eine Entschädigung der TK-Anbieter für die Investitionen ist jedenfalls nicht vorgesehen. Erst sobald die Investitionen eine erdrosselnde Wirkung entfalten, können TK-Anbieter Hilfen beantragen. Die Kostenpflicht der TK-Anbieter ist insbesondere auch vor dem Hintergrund kritisch zu betrachten, als dass die Strafverfolgung eine originäre Aufgabe des Staates ist und nicht eine von Unternehmen.

Schließlich ist auch der erhoffte Nutzen von besseren Erfolgen bei der Strafverfolgung fraglich. Beweise, dass tatsächlich Ermittlungserfolge auf die Vorratsdatenspeicherung zurückzuführen sind, konnte bislang nicht erbracht werden. Nach Berichten der Süddeutschen Zeitung habe sich die Aufklärungsquote durch die Vorratsdatenspeicherung laut Bundeskriminalamt lediglich um 0,006 Prozent verbessert.

Der nur minimale Nutzen der Vorratsdatenspeicherung zum Zwecke der Strafverfolgung vermag die oben dargestellten Grundrechtseingriffe nicht verfassungsrechtlich rechtfertigen. Wenig überraschend ist es daher, dass bereits jetzt Politiker der Opposition und Bürgerrechtsaktivisten diesen Gesetzesentwurf durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen wollen.