1 Mio. Strafe für fehlerhaftes KI-Plugin zur Barrierefreiheit

6. Februar 2025

1-Mio-Strafe-für-fehlerhaftes-KI-Plugin-zur-BarrierefreiheitDie Federal Trade Commission (FTC) hat AccessiBe, ein Unternehmen, das ein KI-gestütztes Plugin zur Barrierefreiheit von Websites anbietet, zu einer Geldstrafe von 1 Million US-Dollar verurteilt. Grund dafür sind irreführende Werbeaussagen, die behaupteten, das Tool “accessWidget” könne Websites mithilfe von KI automatisch WCAG-konform machen. Die Untersuchung der FTC ergab jedoch, dass das Plugin in vielen Fällen die WCAG-Kriterien nicht erfüllte und Websites mit accessWidget daher nicht barrierefrei waren.

AccessWidget: KI-Tool für Barrierefreiheit von Websites

Im Januar 2025 verhängte die FTC eine Geldstrafe gegen die Unternehmen AccessiBe Inc. und AccessiBe Ltd. (zusammen “AccessiBe“). AccessiBe vertreibt ein Software-Plugin namens “accessWidget”, das Websites automatisch barrierefrei machen soll. Das Unternehmen bewarb sein Produkt mit dem Versprechen, dass accessWidget Websites mit nur einer Codezeile vollständig konform mit den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) machen könne – 30 % sofort und die restlichen 70 % innerhalb von 48 Stunden, dank künstlicher Intelligenz. Diese Behauptungen wurden auf der Website des Unternehmens, in sozialen Medien und in scheinbar unabhängigen Artikeln auf Websites Dritter verbreitet.

Die FTC leitete eine Untersuchung ein, nachdem Beschwerden von Nutzern und Experten eingegangen waren, die die Wirksamkeit von accessWidget in Frage stellten. Die Untersuchung ergab, dass die Behauptungen von AccessiBe irreführend waren und das Plugin in vielen Fällen die WCAG-Kriterien nicht erfüllte.

Was sind die WCAG?

Die WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) sind ein internationaler Standard, der vom World Wide Web Consortium (W3C) entwickelt wurde, um die Barrierefreiheit von Webinhalten zu gewährleisten. Sie enthalten Richtlinien und Erfolgskriterien, die sicherstellen sollen, dass Menschen mit Behinderungen, wie z.B. Seh-, Hör-, Mobilitäts-, Sprach-, Lern- und kognitiven Beeinträchtigungen, Webinhalte uneingeschränkt nutzen können.

Die WCAG basieren auf vier Grundprinzipien: Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Neben den vier Ebenen gibt es drei WCAG-Konformitätsstufen: A (niedrigste Stufe, höchste Priorität), AA (dies ist der Standard, der für gute Zugänglichkeit erreicht werden sollte), AAA (höchste Stufe, niedrigste Priorität. Die Einhaltung der WCAG-Kriterien ist in Deutschland ab dem 28. Juni 2025 mit Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) verpflichtend. Das BFSG setzt die europäische Richtlinie zur Barrierefreiheit (EAA) um und verpflichtet Unternehmen, Barrierefreiheit in Bereichen wie Onlinehandel und Telekommunikation sicherzustellen, einschließlich der barrierefreien Gestaltung von Websites und Webshops. Verstöße gegen das BFSG können zu Strafen führen.

KI-Tool accessWidget fehleranfällig

Die FTC-Beschwerde listet zahlreiche Verstöße gegen die WCAG-Erfolgskriterien der Stufen A und AA auf, die durch accessWidget nicht behoben wurden. Ein häufiges Problem waren Bilder ohne oder mit fehlerhaftem Alternativtext. Bilder benötigen einen beschreibenden Text, der von Screenreadern vorgelesen werden kann, damit blinde Nutzer die Bildinhalte verstehen können. AccessiBe’s KI generierte jedoch oft ungenaue, unsinnige oder gar keine Alternativtexte.

Auch bei der Navigation mit der Tastatur gab es Mängel. Menschen mit motorischen Einschränkungen sind auf die Bedienung von Websites mit der Tastatur angewiesen. accessWidget konnte jedoch häufig Probleme mit Tastaturfallen (wenn man mit der Tastatur in einem Bereich “gefangen” ist), fehlenden Fokusindikatoren (die anzeigen, welches Element gerade ausgewählt ist) und ungenauen Beschriftungen von interaktiven Elementen nicht beheben.

Des Weiteren wurden fehlerhafte Menüs, Formulare und Tabellen festgestellt. Diese Fehler erschwerten die Bedienung der Website für Menschen mit Behinderungen. Ein weiterer Kritikpunkt waren fehlende Transkripte und Untertitel für Audio- und Videodateien. Gehörlose Menschen benötigen diese, um die Inhalte verstehen zu können. Auch die Barrierefreiheit von PDF-Dateien wurde durch accessWidget nicht immer gewährleistet. Schließlich kritisiert die FTC die fehlende Transparenz von AccessiBe. Das Unternehmen verschwieg, dass accessWidget nicht in der Lage ist, Inhalte auf externen Websites oder Subdomains barrierefrei zu gestalten.

Bußgeld und Auflagen für accessiBe

Neben der Geldstrafe von 1 Million US-Dollar hat die FTC AccessiBe weitere Auflagen erteilt. AccessiBe darf in Zukunft nicht mehr behaupten, dass accessWidget Websites automatisch WCAG-konform machen kann, ohne entsprechende Beweise vorzulegen. Zudem muss AccessiBe zukünftig alle bezahlten Partnerschaften mit Autoren und Websites offenlegen, um den Eindruck von unabhängigen Meinungen zu vermeiden. Die Einhaltung dieser Auflagen wird von der FTC überwacht. Jeder weitere Verstoß gegen die FTC-Verfügung kann mit einer Geldstrafe von bis zu 51.744 US-Dollar geahndet werden.

Fazit 

Der Fall AccessiBe verdeutlicht, dass Unternehmen bei der Umsetzung von Barrierefreiheit mithilfe von KI-Tools sorgfältig vorgehen müssen. Die Einhaltung der WCAG-Kriterien ist nicht nur ein wichtiger Schritt, um digitale Inhalte für alle Menschen zugänglich zu machen, sondern in Deutschland ab Juni 2025 auch ein gesetzliches Erfordernis. Automatisierte Tools wie accessWidget können bei der Umsetzung von Barrierefreiheit zwar hilfreich sein, doch sollten Unternehmen sich nicht blind darauf verlassen.