DSK zum Begriff „wissenschaftliche Forschungszwecke“
Am 11.09.2024 hat die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) ein Positionspapier zum Begriff „wissenschaftliche Forschungszwecke“ beschlossen. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) enthält hierzu zahlreiche Regelungen. Durch diese werden Datenverarbeitungen zu Forschungszwecken privilegiert, indem für sie Ausnahmen von bestimmten datenschutzrechtlichen Anforderungen existieren.
Relevanz des Begriffs in der DSGVO
Der Begriff des „wissenschaftlichen Forschungszwecks“ führt an verschiedenen Stellen in der DSGVO zu Privilegierungen. Dazu gehört etwa die Zweckbindung (Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO), die Öffnungsklausel für die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten (Art. 9 Abs. 2 lit. j DSGVO), die Einschränkung der Informationsfreiheit (Art. 14 Abs. 5 lit. b DSGVO) und des Rechts auf Löschung (Art. 17 Abs. 3 lit. d DSGVO) und das Widerspruchsrecht (Art. 21 Abs. 6 DSGVO). Zur Bestimmung, ob eine entsprechende Privilegierung vorliegt, muss am Einzelfall geprüft werden, „ob eine Verarbeitung tatsächlich zu wissenschaftlichen Forschungszwecken erfolgt“.
Weite Auslegung im Einklang mit der GRCh
Erwägungsgrund 159 der DSGVO betont, dass der Begriff weit auszulegen ist und etwa auch die Verarbeitung für „die technologische Entwicklung und die Demonstration, die Grundlagenforschung, die angewandte Forschung und die privat finanzierte Forschung einschließen“ soll. „Darüber hinaus sollte sie dem […] Ziel, einen europäischen“ Forschungsraum „zu schaffen, Rechnung tragen“. Dem fügt die DSK hinzu, dass die Auslegung auch im Einklang mit der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh), insbesondere mit dem Datenschutzgrundrecht (Art. 8 GRCh) und der Forschungsfreiheit (Art. 13 GRCh), erfolgen muss.
Kriterien für wissenschaftliche Forschung
Für die Definition des Forschungsbegriff verweist die DSK auf das Bundesverfassungsgericht und die Kommentarliteratur zu Art. 13 GRCh. Hiernach sei Forschung „jede geistige Tätigkeit mit dem Ziel, in methodischer, systematischer sowie nachprüfbarer Art und Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen“. Somit würden sich folgende fünf Prüfkriterien ergeben:
- Methodisches und systematisches Vorgehen
Zunächst setze wissenschaftliche Forschung eine methodische und systematische Vorgehensweise voraus. Dabei seien „fachspezifische Eigenarten und Besonderheiten zur Ermittlung der rationalen Wahrheit zu berücksichtigen“.
- Erkenntnisgewinn
Das Ziel der Forschung solle der Gewinn neuer Erkenntnisse sein. Die DSK erklärt, dass hingegen die bloße Verwendung bereits existierender Erkenntnisse nicht geschützt ist.
- Nachprüfbarkeit
Ein weiteres Kriterium sei die Nachprüfbarkeit der Forschungsergebnisse. Zwar sei eine Publikation der Ergebnisse keine zwingende Voraussetzung, jedoch solle die Forschung so angelegt sein, dass sie einer „Überprüfung durch die Fachgemeinschaft“ standhalten kann. Deshalb müssten die Forschungsergebnisse „nach wissenschaftlichen Standards dokumentiert werden“, ohne dass von Anfang an eine Geheimhaltungsabsicht zur Vermeidung kritischer Auseinandersetzungen besteht.
- Unabhängigkeit und Selbstständigkeit
Wissenschaftliche Forschung bedarf zudem einer gewissen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Forschenden, auch gegenüber möglichen Auftraggebern. Soweit die Forschung autonom möglich ist, schade eine gewisse Weisungsgebundenheit oder Kritik des Auftraggebers nicht. Anders sei dies, wenn Auftraggeber erheblichen Einfluss auf die Durchführung oder die Ergebnisse nehmen.
- Gemeinwohlinteresse
Aus Art. 52 Abs. 1 GRCh ergebe sich zudem das Kriterium des Gemeinwohlinteresses. Die DSK erklärt in ihrem Positionspapier (abrufbar hier), dass „das Verfolgen begleitender wirtschaftlicher Motive […] die wissenschaftliche Forschung im Sinne der DSGVO [nicht] aus[schließt], solange die Tätigkeit auf Erzielung eines gesellschaftlichen Nutzens gerichtet ist“.
Fazit
Die DSGVO privilegiert wissenschaftliche Forschung, indem sie bestimmte datenschutzrechtliche Pflichten lockert. Diese Privilegien sind jedoch an strenge Kriterien gebunden: Methodik, Ziel des Erkenntnisgewinns, Nachprüfbarkeit, Unabhängigkeit und Gemeinwohlorientierung müssen erfüllt sein, damit eine Datenverarbeitung als „wissenschaftliche Forschung“ im Sinne der DSGVO anerkannt und privilegiert wird.