Einsichtsrecht in Steuerakten?
Oft besteht ein legitimes Interesse daran, zu erfahren, welche Informationen eine Finanzbehörde über den Einzelnen speichert und verarbeitet. Doch welche konkreten Rechte haben Steuerpflichtige in diesem Zusammenhang? Ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12.11.2024 klärt, ob Betroffene ein Einsichtsrecht in ihre Steuerakten haben oder ob andere Vorschriften, insbesondere die Abgabenordnung (AO), dem entgegenstehen.
Fall vor dem BFH
Ein Steuerpflichtiger beantragte Einsicht in seine Steuerakte, nachdem er seinen Steuerberater wegen unzureichender Beratung zur Verantwortung ziehen wollte. Zuvor hatte das Finanzamt eine Einkommensteuer bestimmt, die im Anschluss auch bestandskräftig geworden war. In diesem Zusammenhang wollte der Kläger nun Schadensersatzansprüche gegen seinen Steuerberater durchsetzen.
Das Finanzamt verweigerte die Einsichtnahme unter Verweis auf die AO, die kein Akteneinsichtsrecht bestimme. Daraufhin machte der Betroffene sein Recht auf Auskunft gemäß Art. 15 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) geltend. Der Fall gelangte bis zum BFH, der nun grundsätzliche Fragen zur Anwendbarkeit der DSGVO im Steuerrecht klärte.
Datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch in Steuersachen
Das Auskunftsrecht ermöglicht es Individuen, Einblick in die Verarbeitung ihrer Daten zu erhalten und gegebenenfalls Korrekturen oder Löschungen zu fordern. Daneben besteht auch ein Recht auf die Ausstellung einer ersten kostenlosen Kopie der personenbezogenen Daten. Bei Missachtungen verhängen europäische Datenschutzbehörde gerne empfindliche Bußgelder.
In welchem Verhältnis das Datenschutzrecht zum Steuerrecht insbesondere in Bezug auf das Auskunftsrecht steht, ist bislang nicht abschließend geklärt. Im Jahr 2021 hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg beispielsweise den Anspruch eines Steuerpflichtigen gegen ein Finanzamt auf Zurverfügungstellung einer Kopie der Steuerakten verneint. Begründet wurde dies damit, dass das pauschale Auskunftsverlangen des gesamten Inhalts der vom Finanzamt geführten Steuerakten zu exzessiv sei.
Entscheidung des BFH
Kein Recht auf Akteneinsicht nach Abgabenordnung
Der BFH stellte in seinem Urteil (IX R 20/22) nun zunächst fest, dass die AO keinen allgemeinen Anspruch auf Akteneinsicht vorsehe. Ein Steuerpflichtiger könne während eines laufenden Besteuerungsverfahrens lediglich beantragen, dass das Einsichtsgesuch ermessensfehlerfrei geprüft wird. Nach Abschluss des Verfahrens – wie bei dem hier bereits rechtskräftigen Steuerbescheid – entfalle diese Option.
Auch ein Anspruch aus Treu und Glauben nach § 242 BGB bestehe nur, wenn ein besonderes Näheverhältnis zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigem vorliegt, was in diesem Fall nicht gegeben sei, da das Begehren auf nicht steuerliche Zwecke abziele. Es ginge lediglich um die Feststellung, ob ein Schadensersatzanspruch bestehe.
Aber Datenschutzrechtliches Auskunftsrecht
Jedoch sprach der BFH dem Steuerpflichtigen einen Anspruch auf Auskunft gemäß Art. 15 DSGVO zu. Die Finanzbehörde habe personenbezogene Steuerdaten verarbeitet, weshalb die DSGVO anwendbar sei.
Auch ergebe sich nichts anderes aus Art. 2 Abs. 2 lit. a DSGVO, der die Anwendung der Verordnung für Tätigkeiten ausschließt, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen. Laut Erwägungsgrund 16 S. 1 zur DSGVO gelte diese Ausnahme nur für die Kernbereiche staatlicher Tätigkeit, wie beispielsweise die nationale Sicherheit. Zudem komme es auf einen etwaigen verfolgten Zweck nicht an.
Trotz des grundsätzlichen Auskunftsrechts seien Einschränkungen nach Art. 23 Abs. 1 lit. e DSGVO in Verbindung mit § 32c Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 lit. a AO möglich, beides greife hier allerdings nicht. Die Ausnahmen regeln, dass das Auskunftsrecht nicht besteht, wenn die Speicherung der Daten nur aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungspflichten erfolgt oder wenn Steuerdaten Dritter betroffen sind. Da sich der Kläger jedoch auf seine eigenen Steuerdaten beziehe und sein Steuerberater als Bevollmächtigter kein Dritter im Sinne der Vorschriften sei, könne das Finanzamt den Auskunftsanspruch nicht verweigern. Zudem handle es sich auch nicht um eine gesetzliche Aufbewahrungspflicht, da eine bloße Orientierung an gesetzlichen Aufbewahrungspflichten lediglich eine Verwaltungspraxis sei.
Fazit
Das Urteil verdeutlicht den Unterschied zwischen steuerrechtlichen Einsichtsrecht und datenschutzrechtlichen Auskunftsansprüchen. Das datenschutzrechtliche Einsichtsrecht in Steuerakten existiert folglich nicht. Während die AO eine Einsichtnahme in Steuerakten nur eingeschränkt erlaubt, bestätigt der BFH das grundsätzliche Recht auf Auskunft nach der DSGVO. Dies ist insbesondere für Steuerberater und Unternehmen von Relevanz, die sich mit datenschutzrechtlichen Anfragen befassen.