BGH: Erstes Leitentscheidungsverfahren über Datenschutz
Laut einer erst am 31.10.2024 in Kraft getretenen Regelung, kann der Bundesgerichtshof (BGH) ein Revisionsverfahren zu einem Leitentscheidungsfall erklären, wenn der Fall für eine Vielzahl anderer Verfahren von Relevanz ist. Noch am gleichen Tag hat der BGH erstmalig beschlossen ein Leitentscheidungsverfahren über einen Fall im Datenschutz zu führen. Konkret geht es hierbei um einen Datenskandal bei Facebook aus dem Jahr 2021. Diesbezüglich sind aktuell eine Vielzahl von Verfahren über Schadensersatzansprüche Betroffener anhängig.
Scraping-Vorfall bei Facebook
Dem Beschluss des BGH liegt ein Datenschutzvorfall bei Facebook zugrunde. Damals hatten Dritte mit Hilfe des Contact Import Tools (CIT) eine Fülle an Telefonnummern, Namen und E-Mail-Adressen heruntergeladen. Im Anschluss konnten sie diese Facebook-Profilen zuordnen und deren öffentlich verfügbare Daten sammeln. Dieses sogenannte Scraping betraf ungefähr 533 Millionen Datensätze. Infolgedessen stellte die für den Mutterkonzern Meta zuständige irische Datenschutzbehörde (DPC) unzureichende Sicherheitsmaßnahmen fest und verhängte eine Geldbuße in Höhe von 265 Millionen Euro gegen Meta.
Schadensersatzforderungen gegen Meta
Dies löste nicht nur Empörung aus, sondern führte auch zu einer Fülle an Klagen von Betroffenen. Im Mittelpunkt steht insbesondere die Frage, ob Meta wegen unzureichender Sicherheitsmaßnahmen immateriellen Schadensersatz leisten muss. Insbesondere hätten sie Ängste, Stress und Zeiteinbußen sowie einen Kontrollverlust ihrer personenbezogenen Daten erlitten.
Bewertung vorheriger Instanzen
Die vorherigen Instanzen bewerteten die Verfahren teilweise unterschiedlich. Eine Vielzahl an Schadensersatzansprüche hatte bislang wenig Erfolg. Beispielsweise stellte das Oberlandesgericht Dresden im Mai 2024 in einem solchen Fall zwar Datenschutzverstöße fest. Allerdings wies es die Klage trotzdem ab, da die Klägerin keinen konkreten immateriellen oder materiellen Schaden nachweisen könne. Wie auch der EuGH jüngst, betonte das OLG, dass ein Schadensersatzanspruch ohne Vorliegen eines konkreten Schadens ausscheidet. Die bloße abstrakte Möglichkeit eines Missbrauchs reiche nicht aus. Mittlerweile liegt eine Vielzahl dieser Verfahren als Revisionen beim BGH.
Bislang keine höchstrichterliche Entscheidung
Meta weist auch die Forderungen der noch offenen Verfahren zurück. Das Unternehmen argumentiert, dass es keinen beweisbaren kausalen Zusammenhang zwischen dem Datenleck und den Schäden der betroffenen Nutzer gebe. Auch liege kein Datenschutzverstoß vor. Um ein Urteil des BGH zu verhindern, hat Meta sich bislang mit den meisten Klägern durch außergerichtliche Vergleiche geeinigt. Gleiches gilt laut einer Pressemitteilung des BGH auch für das nun hochgestufte Revisionsverfahren (VI ZR 10/24), das ursprünglich am 08.10.2024 stattfinden sollte. Deshalb blieb eine höchstrichterliche Leitsatzentscheidung bislang aus.
Neue ZPO-Regelung zum Leitsatzentscheidungsverfahren
Eine erst am Beschlusstag in Kraft getretene Regelung der Zivilprozessordnung (ZPO) erlaubt es jedoch nun dem BGH, ein laufendes Revisionsverfahren als Leitentscheidung hochzustufen. Nach § 552b ZPO kann nämlich das Revisionsgericht eine Revision zu einem Leitentscheidungsverfahren bestimmen, wenn die Revision Rechtsfragen aufwirft, deren Entscheidung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist. Somit können hiernach Rechtsfragen weiterhin höchstrichterlich beantwortet werden, auch wenn es aus prozessualen Gründen nicht mehr erforderlich ist. Im Fall von Meta könnte der BGH somit erstmals trotz der Vergleiche ein Urteil fällen und damit eine juristische Leitentscheidung schaffen, die bei künftigen Prozessen richtungsweisend wäre.
Fazit
Damit wird der BGH sein erstes Leitentscheidungsverfahren über den Datenschutz fällen. Hierfür plant der BGH einen mündlichen Verhandlungstermin für den 11.11.2024. Der anstehende Beschluss hat das Potenzial, eine Signalwirkung für weitere vergleichbare Fälle zu entfalten. Die Möglichkeit, eine Leitentscheidung zu fällen, könnte auch für weitere schon anhängige Verfahren für mehr Rechtssicherheit sorgen und zu einer schnelleren und effizienteren Entscheidung führen. Nun bleibt zunächst abzuwarten, wie der BGH das Vorliegen eines immateriellen Schadensersatzes und eines Datenschutzverstoßes durch Meta bewertet.