Generalanwalt: Kostenlose Verkäufe nach ePrivacy-RL
Wer einen kostenlosen Account auf einer Webseite anlegt und danach ohne ausdrückliche Einwilligung Newsletter erhält, könnte sich ungewollt in einem Werbesystem wiederfinden. Dass dies nach der ePrivacy-Richtlinie dennoch zulässig sein kann, meint Generalanwalt des Europäischen Gerichtshof (EuGH) Szpunar in seinen Schlussanträgen in einem rumänischen Vorlageverfahren (C‑654/23). Er hält es hier nicht für notwendig, zusätzlich eine Rechtsgrundlage nach Art. 6 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) heranzuziehen. Laut der Stellungnahme vom Generalanwalt vom 27.03.2025 könne man unentgeltliche Newsletter nämlich als kostenlose Verkäufe nach Artikel 13 Absatz 2 ePrivacy-Richtlinie (ePrivacy-RL) ansehen, wodurch das Einwilligungserfordernis entfalle.
Werbung durch E-Mail trotz „kostenlosem“ Nutzerkonto
Im Zentrum des Falls steht ein rumänisches Nachrichtenportal, das juristische Inhalte über ein Freemium-Modell vertreibt. Das bedeutet, dass Nutzer monatlich einige Artikel kostenlos lesen und gegen Registrierung Zugang zu weiteren Inhalten erlangen konnten. Dann erhielten sie auch – solange kein Widerspruch vorliegt – einen täglichen Newsletter. Dieser informierte über neue Gesetzesentwicklungen und verlinkte teilweise auf weitere kostenpflichtige Inhalte. Nur bei Bezahlung wurde ein unbeschränkter Zugriff ermöglicht.
Geldbuße durch die Datenschutzbehörde
Die rumänische Datenschutzbehörde sah darin eine unzulässige Verarbeitung personenbezogener Daten und verhängte ein Bußgeld in Höhe von rund 9.000 Euro. Die betroffenen Nutzer hätten einer solchen E-Mail-Werbung nicht wirksam zugestimmt. Es fehle die notwendige Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO. Das angerufene Berufungsgericht legte daraufhin dem EuGH Vorlagefragen vor. Besonders entscheidend ist hierbei, ob der Newsletter als Direktwerbung im Sinne der ePrivacy-RL zu qualifizieren ist. Daneben ist fraglich, ob es für das Verschicken eines solchen die Einholung der Nutzerzustimmung nach der ePrivacy-RL bedarf und/oder ob eine Rechtsgrundlage nach der DGSVO erforderlich ist.
Bestimmungen zu unerbetenen Nachrichten
Art. 13 Abs. 1 ePrivacy-RL bestimmt, dass die Verwendung von elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung nur bei vorheriger Einwilligung gestattet ist. Nach Abs. 2 können Unternehmen allerdings unter bestimmten Voraussetzungen die elektronischen Kontaktinformationen zur Direktwerbung für eigene ähnliche Produkte oder Dienstleistungen verwenden, sofern die Kunden klar und deutlich die Möglichkeit erhalten, eine solche Nutzung gebührenfrei und problemlos abzulehnen und keine Ablehnung von Anfang an vorliegt. Das bedeutet, dass die Kontaktdaten im Zusammenhang mit dem „Verkauf“ eines Produkts oder einer Dienstleistung erhoben worden sein müssen.
Direktwerbung auch bei scheinbar unentgeltlichen Leistungen
Zunächst meint der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen, dass es sich bei dem Versand des Newsletters um „Direktwerbung“ im Sinne von Art. 13 ePrivacy-RL handelt. Er begründet dies mit dem wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang: Die kostenlose Bereitstellung von Inhalten diene letztlich der gezielten Bewerbung eines kostenpflichtigen Angebots. Die Plattform ziele mit dem E-Mail-Versand darauf ab, Nutzer zu wiederholtem Besuch und schließlich zum Erwerb eines Abonnements zu bewegen. Insoweit diene er hauptsächlich Werbezwecken. Der kostenfreie Zugriff sei damit nicht Ausdruck großzügiger Informationsfreiheit, sondern Teil einer kommerziellen Strategie – und der Newsletter ein klassisches Werbemittel.
Ausnahme vom Einwilligungserfordernis greift
Nach Ansicht von Generalanwalt Szpunar handelt es sich bei dem Newsletter um kostenlose Verkäufe nach der Ausnahmeregel der ePrivacy-RL. Besonders hervorzuheben ist seine Einschätzung zur Reichweite des Begriffs „Verkauf“, im Rahmen dessen die Kontaktdaten erlangt worden sein müssen. Der Begriff könne nicht auf entgeltliche Leistungen beschränkt werden. Vielmehr sei es ausreichend, wenn Nutzer in einem werbefinanzierten Modell ihre personenbezogenen Daten preisgeben, um Inhalte zu erhalten. Denn auch in solchen Fällen entstehe für den Anbieter ein wirtschaftlicher Nutzen durch den Wert der Daten – und damit ein finanzieller Austausch im Sinne der Ausnahmeregel. Diese Sichtweise weicht vom intuitiven Verständnis des Begriffs „Verkauf“ ab. Doch der Generalanwalt argumentiert, dass auch Leistungen, die nicht in Geld bezahlt werden, ein wirtschaftliches Äquivalent haben können.
DSGVO-Rechtsgrundlage nicht erforderlich
Außerdem sei in einem solchen Fall keine zusätzliche Rechtsgrundlage aus der DSGVO erforderlich. Der Generalanwalt hält Art. 13 Abs. 2 ePrivacy-RL für abschließend – und lehnt einen ergänzenden Rückgriff auf Art. 6 DSGVO ab. Hiermit wendet er sich gegen die bisher in der datenschutzrechtlichen Praxis vorherrschende Meinung.
Einwände gegen den Verzicht auf Art. 6 DSGVO
Nach bisheriger Ansicht ergibt sich eine parallele Anwendung, da die Regelwerke unterschiedliche Schutzrichtungen hätten. Während die ePrivacy-RL das Kommunikationsgrundrecht wahre (Art. 7 EU-Grundrechtecharta) schütze die DSGVO personenbezogene Daten (Art. 8 EU-Grundrechtecharta). Art. 95 DSGVO stelle zwar klar, dass bei Konflikten mit der ePrivacy-Richtlinie keine zusätzlichen Pflichten aus der DSGVO gelten sollen. Diese Norm wolle jedoch keine generelle Vorrangregel etablieren, sondern nur Doppelregelungen vermeiden.
Bedeutung für Unternehmen
Ob der EuGH diesem Ansatz folgen wird, bleibt abzuwarten. Unabhängig von der finalen Entscheidung sollten Unternehmen allerdings beachten, dass sie trotzdem sämtliche anderen Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 der ePrivacy-RL sorgfältig prüfen müssen. Zudem ist ungeachtet davon, ob eine DSGVO-Rechtsgrundlage erforderlich ist, häufig bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 der ePrivacy-RL die Rechtsgrundlage des berechtigten Interesses nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO erfüllt, sodass sich für Unternehmen nicht allzu viel ändern dürfte. Allerdings würde sich eine Erleichterung ergeben, wenn auch für Art. 13 Abs. 1 ePrivacy-RL der Vorrang gelten würde, da dann nicht die erhöhten Einwilligungserfordernisse der DSGVO zu beachten wären.
Fazit
Die Schlussanträge von Generalanwalt Szpunar darüber, dass Newsletter als kostenlose „Verkäufe“ nach der ePrivacy-RL qualifiziert werden können, bringt Bewegung in das Verhältnis zwischen ePrivacy-Richtlinie und DSGVO. Doch eine Entwarnung ist verfrüht. Schlussanträge von Generalanwälten sind für EuGH-Richter nicht bindend. Insofern bleibt abzuwarten, wie diese final entscheiden werden.