Encrochat-Datenbezug durch deutsche Staatsanwaltschaft
Encrochat-Datenbezug durch deutsche Staatsanwaltschaft
Nach Auffassung der Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Tamara Ćapeta war der Encrochat-Datenbezug aus dem gehackten Kommunikationsdienst aus Frankreich durch die deutsche Staatsanwaltschaft zulässig. Hierzu hat sie am 26.10.2023 zur Rechtssache C-670/22 ihre Schlussanträge veröffentlicht.
Der zugrundeliegende Fall
Hintergrund war ein Fall, in dem die Berliner Staatsanwaltschaft Daten des geknackten französischen Kommunikationsdienst Encrochat über Wochen abgefragt hat. Zuvor hatten niederländische und französische Ermittler das gesicherte Chat-Netzwerk entschlüsselt. Die hierdurch erlangten Daten übergab man auch an deutsche Ermittlungsbehörden. So konnten sie umfangreich Chatverläufe über organisierte Kriminalität verfolgen. Hieraus folgte auch ein von der Berliner Staatsanwaltschaft eingeleitetes Strafverfahren gegen die Tatverdächtigen.
Antrag auf Vorabentscheidung vom Berliner Landgerichts
Im Rahmen der Hauptverhandlung stellte das Landgericht Berlin an den EuGH die Frage, ob die so durch die deutsche Staatsanwaltschaft erlangten Informationen im Strafverfahren verwertbar sind, ohne dass gegen EU-Vorschriften verstoßen wird. In dem Antrag auf Vorabentscheidung ging es um die Auslegung der Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (EEA). Für die Richter war fraglich, ob für das Erheben von Beweismitteln eine gerichtliche Genehmigung eingeholt werden muss, wenn dies in einem nationalen Verfahren in einem Mitgliedsstaat erforderlich ist.
Schlussfolgerung der EuGH-Generalstaatsanwältin
Die EuGH-Generalstaatsanwältin hält das Vorgehen für zulässig. Die Encrochat-Daten seien im Rahmen internationaler Rechtshilfe an deutsche Ermittlungsbehörden rechtmäßig übertragen worden. Eine EEA könne nur erteilt werden, wenn die hierin enthaltenen Maßnahmen in einer ähnlichen innerstaatlichen Situation anzuordnen wären. Der vorliegende Fall sei so zu behandeln, wie ein vergleichbarer in Deutschland stattfindender Fall, in dem Ermittler Beweise innerstaatlich von einem Strafverfahren in ein anderes überreichen.
Die Generalanwältin hebt hervor, dass die EEA-Richtlinie es der Berliner Staatsanwaltschaft gestattet, eine Ermittlungsanordnung zu erlassen. Nach dem deutschen Recht sei die Erteilung einer gerichtliche Genehmigung für eine ähnliche nationale Übertragung nicht erforderlich. Da hier somit keine Richtergenehmigung nötig sei, war die Berliner Staatsanwaltschaft nach ihrer Ansicht befugt, die einschlägige EEA zu erlassen und Informationen aus dem Encrochat aus Frankreich abzurufen. Ćapeta unterstreicht, dass die Kontrolle des Chat-Netzwerks von französischen Gerichten gestattet war. In der Bewertung der Zulässigkeit müsse man diesem Schritt dieselbe Bedeutung geben, den er in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall hätte.
Zuletzt meint sie, dass die Zulässigkeit von gegebenenfalls unter Verletzung von EU-Recht erlangten Beweisgegenständen nach nationalem Recht zu entscheiden ist, sofern die EU-Grundrechtecharta eingehalten wird.
Fazit
Das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden ist teilweise starker Kritik ausgesetzt. Es wird beanstandet, dass die vielen Verhaftungen auf Grundlage unzureichender Beweise und Ermittlungsvorgehensweisen erfolgt seien. Gerade vor dem Hintergrund des Schutzes personenbezogener Daten und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist der Umgang mit den Rechten der Beschuldigten fraglich. Deswegen ist die Frage der Zulässigkeit der Beweisverwertung von entscheidender Bedeutung und wird weiterhin Gegenstand intensiver Diskussionen sein. Zumindest hat das Bundesverfassungsgericht bereits kürzlich eine Verfassungsbeschwerde in dieser Angelegenheit nicht zur Entscheidung angenommen. Zuletzt ist noch festzustellen, dass die Schlussanträge der Generalanwältin für den EuGH keine Bindungswirkung haben. Allerdings werden sie häufig als erste Richtungsweiser betrachtet. Wie die konkrete Entscheidung am Ende ausfallen wird, bleibt abzuwarten.