Schlagwort: Bundesverfassungsgericht
22. Februar 2023
Mit Urteil vom 16. Februar 2023 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) automatisierte Datenanalysen der Polizei in Hessen und Hamburg für verfassungswidrig erklärt. Die beiden angegriffenen Landesgesetze erlaubten der Polizei demnach „automatisierte Verarbeitung unbegrenzter Datenbestände mittels rechtlich unbegrenzter Methoden“.
Schwere Grundrechtseingriffe durch Profiling-ähnliche Analysen
Das BVerfG erkannte in den angegriffenen Vorschriften (§ 25a Abs. 1 Alt. 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) und § 49 Abs. 1 Alt. 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (HmbPolDVG)) Verstöße gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Polizeien der Länder dürfen auf deren Grundlage „bisher unverbundene, automatisierte Dateien und Datenquellen in Analyseplattformen […] vernetzen und die vorhandenen Datenbestände durch Suchfunktionen systematisch […] erschließen“ (Rn. 2). Laut BVerfG enthalten die Normen jedoch keine „ausreichende Eingriffsschwelle“. Angesichts des Eingriffsgewichts seien die Befugnisse zu offen formuliert.
Es sei zwar nicht ungewöhnlich, dass die Polizei ihre Erkenntnisse auch in Verknüpfung mit anderen Informationen zum Anstoß weiterer Ermittlungen nutze. Allerdings gehe die Analyse nach den angegriffenen Normen viel weiter. Sie nähere sich bei entsprechendem Einsatz sogenanntem „Profiling“ an, mit dem „sich softwaregestützt neue Möglichkeiten einer Vervollständigung des Bildes von einer Person ergeben, wenn Daten und algorithmisch errechnete Annahmen über Beziehungen und Zusammenhänge aus dem Umfeld der Betroffenen einbezogen werden“ (Rn. 69).
Rechtlich unbegrenzte Methoden
Angesichts der hohen Eingriffsintensität der Analysemöglichkeiten müssten laut BVerfG strenge Eingriffsvoraussetzungen erfüllt werden. Hier bemängelte das BVerfG, dass die Befugnisse der Polizei hinsichtlich der Methoden praktisch unbegrenzt sei: „In ihrer daten- und methodenoffenen Unbegrenztheit erlauben die Regelungen der Polizei, mit einem Klick umfassende Profile von Personen, Gruppen und Milieus zu erstellen und auch zahlreiche rechtlich unbeteiligte Personen weiteren polizeilichen Maßnahmen zu unterziehen, die in irgendeinem Zusammenhang Daten hinterlassen haben, deren automatisierte Auswertung die Polizei auf die falsche Spur zu ihnen gebracht hat“ (Rn. 150).
Der Gesetzgeber habe zudem den Wortlaut der Normen sehr weit gefasst, sodass diese auch Data-Mining und den Einsatz selbstlernender Systeme (Künstliche Intelligenz) erlaubten.
Hamburger Gesetz nichtig, Übergangsfrist für Hessen
Das BVerfG hält eine automatisierte Datenanalyse oder -auswertung grundsätzlich für möglich. Diese muss jedoch eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung bieten. Für Hessen gilt daher nun eine Übergangsfrist für eine Neuregelung bis zum 30. September 2023. Das Programm „HessenData“, welches auf dem Programm „Gotham“ vom US-Software-Unternehmen Palantir beruht, wird dort bereits seit 2017 eingesetzt.
§ 49 Abs. 1 Alt. 1 HmbPolDVG wurde dagegen direkt für nichtig erklärt. Die Norm wurde mit kleinen Änderungen der hessischen Norm nachgebildet, aber bisher noch nicht angewendet.
Bundesweite Auswirkungen des Urteils
Auch Bayern hat Interesse an dem Analyseprogramm bekundet und prüft derzeit den Einsatz. Nordrhein-Westfalen nutzt bereits Palantir-Dienste. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die anderen Länder das Urteil in ihre Gesetzgebung einfließen lassen werden. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationssicherheit zweifelte im Verfahren vor dem BVerfG die Rechtmäßigkeit der fraglichen Normen an. Er bemängelte, dass „falsche Entwicklungen immer erst von den Gerichten gestoppt werden“ müssten, anstatt auf die Proteste aus der Zivilgesellschaft und die Datenschutzbeauftragten einzugehen.
8. Mai 2020
Das Bundesverfassungsgericht lehnte, mit am 30. April 2020 veröffentlichten Beschluss, einen Antrag auf vorläufige Außerkraftsetzung des Vollzugs, neu in das SGB V eingefügter Vorschriften, ab.
Mithilfe dieser neu eingefügten Vorschriften (§ 68a Abs. 5 SGB V und §§ 303a ff. SGB V) sollte es gestattet werden, Daten von gesetzlich Krankenversicherten in pseudonymisierter oder anonymisierter Form, für Zwecke der medizinischen Forschung und hinsichtlich der digitalen Innovation zu nutzen. Hierbei sollen personenbezogene Daten der gesetzlich Versicherten wie Alter, Geschlecht oder Wohnort sowie bestimmte Gesundheitsdaten an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Sammelstelle der Daten übermittelt und anschließend von diesem an ein (bisher noch nicht eingerichtetes) Forschungsdatenzentrum weitergegeben werden.
Der Antragsteller, der an einer seltenen Erbkrankheit leidet, befürchtet, dass trotz der vorgeschriebenen Datenschutzregeln bezüglich Pseudo- oder Anonymisierung eine Identifizierung seiner Person möglich sein könnte.
Die 2. Kammer des Ersten Senats begründete die Ablehnung des Antrags damit, dass im Rahmen eines Eilverfahrens inhaltlich nicht über die schwierigen verfassungsrechtlichen Fragen entschieden werden könne, welche das Verfahren mit sich bringe. Eine durch den Antragsteller noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre derzeit weder offensichtlich unzulässig noch unbegründet, da aufgrund des sensiblen Charakters der erfassten Gesundheitsdaten und deren flächendeckender Erhebung tiefe Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht möglich sein können. In einer summarischen Prüfung wurden die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen, die eine Außerkraftsetzung der neu eingeführten Regelungen bzw. eine weitere Anwendung dieser Regelungen nach sich ziehen können. Nach Ansicht der Kammer sind die “Nachteile, die sich aus einer vorläufigen Anwendung der Vorschriften ergeben, wenn sich das Gesetz im Nachhinein als verfassungswidrig erwiese (…) zwar von erheblichem Gewicht. Sie überwiegen aber nicht deutlich die Nachteile, die entstünden, wenn die Vorschriften außer Kraft träten, sich das Gesetz aber später als verfassungsgemäß erwiese.”
5. Dezember 2019
Die Beschlüsse Recht auf Vergessen I und II ergingen am selben Tag und stehen in direktem Zusammenhang. Während im ersten Blogeintrag die Grundsätze der Anwendbarkeit von Unionsgrundrechten und deutschem Grundgesetz aufgezeigt wurden, wird im Folgenden auf den Beschluss ‚Recht auf Vergessen I‘ eingegangen. In diesem schärft das BVerfG das Recht auf Vergessen.
Der Sachverhalt
Im zugrundeliegenden Fall begehrte der Beschwerdeführer die Löschung eines Artikels, der auf Spiegel Online kostenlos zum Abruf bereitgehalten wurde und bei Google bei Eingabe seines Namens unter den ersten Treffern auftauchte. Der Beschwerdeführer wurde 1982 wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und 2002 auf der Haft entlassen. Während das Landgericht dem Beschwerdeführer noch einen Unterlassungsanspruch gegen die Veröffentlichung des Berichts zugestand und die Berufung erfolglos blieb, wies in der Revision der BGH die Klage ab.
Die rechtliche Würdigung
Das BVerfG stellt zunächst fest, dass die Verarbeitung zu journalistischen Zwecken in den Bereich des Medienprivilegs fällt, für das Art. 85 DSGVO eine Öffnungsklausel vorsieht. Wegen des weitgehenden Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten, sei hier das deutsche Grundgesetz anwendbar. Gleichwohl könnten die Garantien der Unionsgrundrechte als Auslegungshilfe Berücksichtigung finden.
Bevor das BVerfG in die grundrechtliche Abwägung einsteigt setzt es sich dezidiert mit dem Recht auf Vergessen auseinander. Dieses leitet es aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Abgrenzung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung ab. Allein Ersteres umfasse den Schutz vor der Verarbeitung personenbezogener Berichte und Informationen als Ergebnis eines Kommunikationsprozesses. In der Folge wägt das BVerfG das Recht auf Vergessen des Beschwerdeführers mit der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit von Spiegel Online ab. Während für aktuelle Berichterstattungen über Straftaten in der Regel dem Informationsinteresse Vorrang einzuräumen sei, könne ein zunehmender zeitlicher Abstand das Ergebnis verändern. Hierbei könne keine allgemeine Frist fixiert werden. Es müsse das Interesse an der Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft berücksichtigt werden.
Bei der Abwägung sei insbesondere einzustellen, dass die Informationen für jedermann unmittelbar und dauerhaft abrufbar sind. Das BVerfG zählt ein Reihe weiterer in der Abwägung maßgeblicher Gesichtspunkte auf. So seien die Wirkungen, die zurückliegende Berichte auf das Privatleben und die Entfaltungsmöglichkeiten der Person haben, zu berücksichtigen. Auch komme es darauf an, ob das Ereignis für sich allein oder in gesellschaftlichem Kontext steht. Zudem komme es darauf an, ob das Verhalten des Betroffenen von einem „Vergessenwerdenwollen“ getragen sei. Die Belastungswirkung für den Betroffenen bestimme sich auch danach, ob der Bericht breitenwirksam gestreut wird, indem er durch Suchmaschinen leicht auffindbar ist. Das BVerfG stellt aber klar, dass es kein Recht auf Vergessenwerden in einem grundsätzlich allein von den Betroffenen beherrschbaren Sinn gebe.
Das Ergebnis
Die Entscheidung des BGH halte diesen Anforderungen nicht stand. Sie habe insbesondere die zeitliche Distanz zum Strafverfahren und die konkrete Situation des Beschwerdeführers nicht hinreichend gewürdigt.
Das Bundesverfassungsgericht beschäftigte sich in zwei in vieler Hinsicht spannenden Beschlüssen vom 6. November 2019 mit dem Recht auf Vergessen (1 BvR 16/13 – Recht auf Vergessen I und 1 BvR 276/17, Recht auf Vergessen II). Darin setzt sich das Verfassungsgericht wohl erstmals mit der Frage auseinander, ob und wann es die Charta der Grundrechte der Europäischen Union anwendet und nicht das deutsche Grundgesetz.
Das BVerfG kommt zu dem Ergebnis, dass allein die Unionsgrundrechte anwendbar sind, wenn sich der Rechtsstreit nach unionsrechtlich vollständig vereinheitlichten Regelungen richtet. Dies sei im Datenschutzrecht bereits durch die EU-Datenschutzrichtlinie, erst recht aber durch die Datenschutz-Grundverordnung grundsätzlich erfolgt. Eine Ausnahme gelte für Bereiche, in denen das Unionsrecht den Mitgliedstaaten die Schaffung abweichender Regelungen ermögliche. Ob eine Regelung gestaltungsoffen ist müsse durch Auslegung der konkreten Vorschrift ermittelt werden. Es komme darauf an, ob die Norm auf die Ermöglichung von Vielfalt und die Geltendmachung verschiedener Wertungen angelegt sei.
Der Sachverhalt
Im zugrundeliegenden Fall des Beschlusses „Recht auf Vergessen II“ begehrte die Beschwerdeführerin die Unterlassung der Anzeige eines Suchergebnisses von Google. Bei der Eingabe ihres Namens erschien als Suchergebnis ein Transkript eines Beitrags des Fernsehmagazins „Panorama“ von 2010. Der Beschwerdeführerin wurde darin ein unfairer Umgang mit ihren Mitarbeitern vorgeworfen. Das Landgericht verurteilte Google dazu den Link zu entfernen. Das OLG wies die Berufung ab.
Die rechtliche Würdigung
Nach den Ausführungen des BVerfG betrifft der Rechtsstreit eine unionsrechtlich vereinheitlichte Materie, weswegen die Unionsgrundrechte anwendbar seien. Dies sei Konsequenz der Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf die EU. Die Anwendung deutscher Grundrechte würde das Ziel der Rechtsvereinheitlichung konterkarieren. Dem Grundgesetz komme insofern nur eine Reservefunktion zu. Während der EuGH für die letztverbindliche Auslegung des Unionsrechts zuständig sei, habe das BVerfG die Kompetenz über die richtige Anwendung der Unionsgrundrechte.
Das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 7 und 8 CRC beschränke sich nicht auf höchstpersönliche oder besonders sensible Sachverhalte, sondern schließe auch geschäftliche und berufliche Tätigkeiten ein. Zwar könne sich Google selbst nur auf die unternehmerische Freiheit berufen. In der Abwägung seien jedoch auch die Grundrechte der Inhalteanbieter einzustellen, um deren Veröffentlichung es geht. Zudem müssten Zugangsinteressen der Internetnutzer berücksichtigt werden. Das BVerfG arbeitet sodann detailliert heraus, dass ein Schutzanspruch gegenüber einem Suchmaschinenbetreiber weiter reichen kann als gegenüber dem Inhalteanbieter, wenn im Verhältnis zwischen zwischen Betroffenen und Inhalteanbieter nach innerstaatlichem Fachrecht allein die inhaltliche Richtigkeit eines Beitrags ohne Berücksichtigung seiner Verbreitungswirkungen im Internet maßgeblich ist und deshalb der hierdurch entstehende Schutzbedarf der Betroffenen auf dieser Ebene noch nicht erfasst wird.
Das Ergebnis
Die klageabweisende Entscheidung des OLG beanstandet das BVerfG nicht. Die Beschwerdeführerin habe damals ihre Zustimmung zu dem Beitrag gegeben. Ein Zeitablauf könne zwar dazu führen, dass die Verbreitung von Beiträgen durch Suchmaschinen unzumutbar wird, denn es müsse die Chance eines In-Vergessenheit-Geratens belastender Informationen geben. Allerdings sie die Beschwerdeführerin weiterhin unternehmerisch tätig und der Zeitraum von sieben Jahren nicht übermäßig lang.
Zum Beschluss „Recht auf Vergessen I“ folgt ein weiterer Blogeintrag.
4. Februar 2019
Das Thema der Volkszählungen beunruhigt die Gesellschaft in Deutschland immer wieder. Ein knappes Jahr nach dem Inkrafttreten der DSGVO kritisieren die Datenschützer den für Mitte Januar bis Mitte Februar 2019 geplanten Zensus-Probelauf wegen fehlender Anonymisierung. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte ruft das BVerfG an.
Aufgrund der für das Jahr 2021 geplanten Volkszählung hat der Bundestag das Zensusvorbereitungsgesetz (ZensVorbG 2021) am 03.03.2017 verabschiedet. Nach § 1 ZensVorbG wird der Zensus 2021 als eine Kombination aus Bevölkerungszählung und Erfassung des Bestandes an Gebäuden mit Wohnraum und Wohnungen durchgeführt.
Der Grund für die Einschaltung des BVerfG ist der eingeführte § 9a ZensVorbG, wonach zur Vorbereitung des registergestützten Zensus ein Testlauf zur Prüfung der Übermittlungswege und der Qualität der übermittelten Daten aus den Melderegistern ermöglicht wurde.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sieht in der
Übermittlung und Speicherung einer großen Zahl echter Daten wie Name,
Geschlecht, Familienstand, Religionszugehörigkeit ohne Anonymisierung einen
Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und will den
Testlauf stoppen.
Die GFF ist der Meinung, die vorgegebene zweijährige Speicherdauer
stellt ein großes Risiko dar und sie befürchtet, dass durch die Speicherung von
echten Daten von bis zu 82 Millionen Menschen diese Daten zum Magnet für Missbrauch
und unbefugte Beschaffung werden.
Auf der anderen Seite verweist der Staat auf die EU-weite Verpflichtung
aus der EU VO Nr. 712/2017, wonach der Zensus 2021 für alle EU-Staaten
verbindlich ist. Die gewonnenen Daten sollen die Grundlage für die Berechnung
der Verteilung von EU-Fördermitteln und von Steuermitteln sein. Um diese Ziele
zu erreichen, ist der Testlauf unverzichtbar.
Das BVerfG soll im Rahmen eines einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens darüber entscheiden, ob die Erhebung echter, nicht
anonymisierter Daten im Rahmen eines Testlaufs das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung verletzt.
30. Januar 2019
Mit Beschluss vom 20.12.2018 hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgericht entschieden, die Verfassungsbeschwerde eines E-Mail-Anbieters gegen eine von der Staatsanwaltschaft Stuttgart angeordnete Erhebung und Übermittlung von IP-Adressen nicht zuzulassen. Im Rahmen einer ordnungsgemäß veranlassten Telekommunikationsüberwachung sollte der E-Mail-Anbieter wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Betäubungsmittel- und das Kriegswaffenkontrollgesetz eines Nutzers die IP-Adressen des betreffenden Nutzers der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stellen.
Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde führte der E-Mail-Anbieter aus, dass ihm dies nicht möglich sei, da die IP-Adressen aus Gründen der Datenvermeidung und der Datensparsamkeit lediglich anonymisiert gespeichert würden. Nach Auffassung des E-Mail-Anbieters sei es technisch nicht erforderlich, die IP-Adressen mit Personenbezug zu speichern und er sei hierzu auch nicht per Gesetz verpflichtet. Die § 100 Abs. 3 S. 2 StPO a.F. iVm § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Telekommunikationsüberwachungsverordnung würden lediglich dazu verpflichten, bereits vorhandene Daten an die Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln. Da die IP-Adressen aber schon nicht in der notwendigen Form protokolliert werden würde, seien schon keine Daten zur Übermittlung vorhanden.
Dieser Ansicht folgte das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht. Um eine E-Mail einem Empfänger zuordnen zu können, müsse die IP-Adresse zumindest vorübergehend für die Dauer der Kommunikation zwischengespeichert werden. Damit seien die Daten jedoch bei dem Anbieter vorhanden. Der E-Mail-Anbieter müsse seine Dienste so einrichten, dass er im Falle ordnungsgemäß angeordneter Überwachungsmaßnahmen die angefragten IP-Adressen in verwertbarer Form an die Strafverfolgungsbehörden weitergeben könne. Hierzu verpflichte schon § 110 Abs. 1 Nr. 1 TKG, nach dem Anbieter öffentlicher Telekommunikationsdienste auf eigene Kosten technische Einrichtungen zur Umsetzung gesetzlich vorgesehener Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation vorhalten und organisatorische Vorkehrungen für deren unverzügliche Umsetzung treffen müssen.
12. November 2018
Die Bundesdatenschutzbeauftragte, Andrea Voßhoff, bezog vor dem Bundesverfassungsgericht Stellung zu einer Verfassungsbeschwerde gegen Bestandsdatenauskünfte. Voßhoff äußert Ihre Kritik darin, dass das Auskunftsrecht des Bundesamtes für Verfassungsschutz dazu führe, dass Behörden Auskünfte zur Identifizierung von Internetnutzern sowie zum Erhalt von Passwörtern nutzen könne, da das Gesetz weder Anlass, Umfang noch betroffenen Personenkreis beschränke.
Insbesondere kritisiert die Bundesdatenschutzbeauftragte, dass sich dem Bundeskriminalamt bereits im Vorfeld von Gefahren die Möglichkeit eröffne, Daten zu sammeln. Gemäß einer von Voßhoff dargelegten Kontrolle, stelle sich heraus, dass die Schwelle zu einer Erhebung von Daten sehr “niedrig” sei, wodurch der Verfassungsschutz beliebige Daten zu Personen anreichern könne. Um Ihre Kritik zu untermauern, erläuterte Sie, dass in der Praxis Informationen von unschuldigen Personen oftmals in Akten zu verdächtigen Personen aufgeführt werden.
Abschließend erläuterte Voßhoff, dass eine Nutzeridentifizierung künftig nur noch nach richterlicher Anordnung möglich sein solle. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die eingereichte Beschwerde ist noch abzuwarten.
1. September 2017
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 20.06.2017 (Az. 1 BvR 1978/13) die Verfassungsbeschwerde einer Journalistin abgewiesen. Diese hatte sich an das Bundesarchiv gewendet, um an Akten zur causa „Geschäftsfreund“ zu gelangen. Ihre Recherche dreht sich um 630 Millionen Mark, die Deutschland als Entschädigung an Israel gezahlt haben soll, ohne dass hierfür eine parlamentarische Legitimation oder ein Kabinettsbeschluss vorgelegen hätte.
Ein Großteil der Akten soll sich in der Konrad Adenauer Stiftung und im Historischen Institut der Deutschen Bank befinden. Beide Stellen hatten der Journalistin eine Akteneinsicht verwehrt.
Die Richter in Karlsruhe verwiesen die Journalistin jedoch auf die Ausschöpfung des Rechtsweges. So sei der Antrag beim Bundesarchiv nicht zielführend gewesen, da die Akten dem Bundesarchiv nie vorgelegen hätten. Vielmehr müsse sie sich zunächst an das Bundeskanzleramt wenden, welches die Akten nach Recherchen der Journalistin für die damalige Bundesregierung geführt haben soll. So könne das Bundeskanzleramt auf Anfrage der Journalistin unter Umständen dazu verpflichtet sein, die Akten zurückzufordern.
Der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink wertet den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als Stärkung der Informationsfreiheit. Die Richter stellen klar, dass das Recht auf Informationsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 S.1 GG verankert sei, ein Anspruch auf Zugang zu amtlichen Akten aus § 1 Abs. 1 S. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) bestehe. Allgemein zugängliche Informationsquellen im Sinne von Art. 5 GG seien alle amtlichen Informationen, die nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes oder eines Landes grundsätzlich Gegenstand eines Informationszugangsantrags sein könnten. Hieraus lasse sich laut Brink erkennen, dass das Recht auf Informationsfreiheit bei einer Abwägung konkurrierender Rechtsgüter auf Augenhöhe mit dem Datenschutz und dem Privateigentum stehe.
13. Januar 2017
Widerstand gegen den im Jahre 2015 in das Strafgesetzbuch (StGB) aufgenommenen Paragraphen 202d formiert sich unter einem Bündnis aus Bürgerrechtsorganisationen und Journalisten, darunter die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), welche bereits im Dezember 2016 beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingerichtet hat.
§ 202d StGB regelt die Strafbarkeit für die Weitergabe von „geleakten“ Daten wie aus den bekannten sogenannten Whistleblower-Fällen, in denen vertrauliche Informationen, welche nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, von Einzelnen publik gemacht werden. Prominente Beispiele, wenn auch außerhalb des deutschen Rechtsraums, sind Edward Snowden, Julien Assange oder Bradley Manning. Von der Strafbarkeit ausgenommen ist die Weitergabe solcher geleakten Information durch bestimmte Amts- oder Berufsträger, so zum Beispiel – natürlich, bedenke man die in Deutschland Praxis gewordenen Verwertung von Steuer-CDs – Finanzbeamte, aber auch Geistliche und Seelsorger, Rechtsanwälte und Journalisten.
Die Beschwerdeführer rügen vor allem hinsichtlich Letzteren den zu engen Wortlaut des Gesetzes, nachdem weder nebenberufliche Journalisten noch Hilfspersonen und externe Berater ausreichend von der Strafverfolgung ausgenommen sind. Darin sehen die Beschwerdeführer außer der Presse- und Rundfunkfreiheit das allgemeine Gleichheitsgebots, die Freiheit der Berufsausübung und den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz verletzt.
Dass das Gesetz durchaus auch personenbezogene Daten Dritter schützt, welche durch einen Leak unkontrollierbar veröffentlicht werden, bedenken die Verfechter der Freiheitsrechte hoffentlich auch.
28. November 2016
Wie heise.de berichtet reichen der Datenschutzverein Digitalcourage und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung am heutigen Montag, den 28.11.2016, eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Unterstützung bekommen sie von 20 Mitbeschwerdeführern und 30.000 Unterstützern, die die Verfassungsbeschwerde ebenfalls unterzeichneten. Sie wenden sich gegen die massenhafte Speicherung von Nutzerdaten, bekannt unter dem Namen Vorratsdatenspeicherung.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Die Vertreter von Digitalcourage führen an, dass es nicht sein darf, dass die Telekommunikation in Deutschland ab Einführung der neuen Regelungen im Sommer nicht mehr sicher ist. Im Mittelpunkt der Verfassungsbeschwerde stehen die Standortdaten. Anhand dieser Daten kann nicht nur der Tagesablauf eines Menschen zurückverfolgt werden, sondern auch das Onlineverhalten untersucht werden.
Gestützt wird die Beschwerde auf das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung des Europäischen Gerichtshof vom 08.04.2014 (wir berichteten). In diesem Urteil führte das Gericht aus, dass Verbindungs- und Standortinformationen nur bei strikter Erforderlichkeit und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit aufbewahrt werden dürfen.
Bezüglich der neuen Regelungen sind bereits mehrere Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe anhängig. Eilanträge zu dieser Thematik wurden jedoch bereits von den Richtern in Karlsruhe abgelehnt. Es bleibt also abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall entscheiden wird.