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Experten warnen vor sorglosem Umgang mit ChatGPT

31. Januar 2023

Kaum jemand bleibt derzeit vom Hype um ChatGPT verschont. Das Textverarbeitungstool ist ein auf künstliche Intelligenz (KI) gestütztes System, das nicht nur Texte zusammenfassen oder übersetzen, sondern auch Fragen beantworten und sogar eigene Artikel schreiben kann. Allerdings wird ChatGPT auch kritisch gesehen. KI-Experten und Wissenschaftler warnen vor den Gefahren eines sorglosen Umgangs.

Was ist ChatGPT?

ChatGPT wurde von OpenAI entwickelt, einer KI-Firma, die maßgeblich von Microsoft finanziert wird. Das Programm sieht zunächst aus wie ein Chatfeld. In dieses können Nutzer ihre Fragen oder auch Arbeitsanweisungen stellen.  ChatGPT antwortet dann auf Basis seines Trainings in einem Dialogformat. So stellt das Programm auch Rückfragen, wenn man noch etwas klarstellen oder konkretisieren soll. Die Antworten klingen zumeist auf den ersten Blick plausibel. In den USA konnte die KI sogar eine Jura-Prüfung der Universität von Minnesota bestehen.

Veraltete Daten, manipulationsanfälliges System

Die Problematik erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Für Nutzer ist ChatGPT ein harmloses Tool, für die meisten eine Spielerei. Allerdings stammen die Trainingsdaten aus dem Jahr 2021. Sie sind damit keineswegs aktuell. Zudem hat die TU Darmstadt zusammen mit dem Forschungslabor „Leap in Time“ herausgefunden, dass man dieses System manipulieren kann. Schwachstellen zeigten sich demnach insbesondere in antisemitischen und rassistischen Äußerungen sowie falschen und ins Leere laufenden Quellenangaben. So habe eine Frage nach dem Klimawandel zu einem Link auf eine Internetseite zu Diabeteserkrankungen geführt. Es kann zudem nicht nachvollzogen werden, welche Quellen ChatGPT wie in seine Aussagen einbezogen hat.

Zwar gebe es Sicherheitsmechanismen, die beispielsweise kriminelle Inhalte verhindern sollen. Diese ließen sich allerdings leicht umgehen. Ändere man das Vorgehen, zeige „die Software einem, wie man eine betrügerische Mail generiert oder wirft auch gleich drei Varianten aus, wie Trickbetrüger beim Enkeltrick vorgehen können. Auch eine Anleitung für einen Wohnungseinbruch liefert GPT. Falls man auf Bewohner treffe, könne man auch Waffen oder physische Gewalt einsetzen.“

Datenschutzbedenken

Auch Datenschutzbedenken mehren sich im Zusammenhang mit ChatGPT. Ein Problem ergibt sich bereits daraus, dass sich alle Server in den USA befinden. Angesichts der allgemeinen rechtlichen Problematik bei Datentransfers in die USA ist daher auch die Nutzung von ChatGPT datenschutzrechtlich bedenklich. Die KI verarbeitet zahlreiche Daten der Nutzer in einer Art und Weise, die für diese nicht nachvollziehbar ist.

Während die Nutzung im privaten Rahmen wohl tatsächlich eine eher unbedenkliche Spielerei ist, müssen sich Unternehmen gut überlegen, ob und wie sie ChatGPT einsetzen wollen. Insbesondere, da Microsoft angekündigt hat, das Tool im Rahmen seines Cloud-Services Azure und in den Office-Paketen verfügbar zu machen, ist die Versuchung groß, es auch im Unternehmen zu verwenden. Hier sollte darauf geachtet werden, möglichst keine personenbezogenen Daten mit ChatGPT zu verarbeiten.

 

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Mehraufwand für Unternehmen bei Auskunftsanspruch

13. Januar 2023

Verantwortliche sind verpflichtet, betroffenen Personen auf Anfrage die Identität der Empfänger, gegenüber welchen personenbezogene Daten offengelegt wurden, mitzuteilen. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun in einem Urteil (Urt. v. 12.01.2023 – Rs. C-154/21) entschieden.

Sachverhalt

Dem Urteil vorausgegangen war die Klage eines Österreichers, welcher gegenüber der Österreichischen Post sein Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 lit. c DSGVO geltend machte. Auf die Anfrage, welchen Empfängern gegenüber die Post seine personenbezogenen Daten offengelegt habe, beschränkte sich die Österreichische Post zunächst auf die Auskunft, sie verwende personenbezogene Daten im Rahmen ihrer Tätigkeit als Herausgeberin von Telefonbüchern und stelle die Daten darüber hinaus Geschäftskunden für Marketingzwecke zur Verfügung. Darunter befanden sich unter anderem werbetreibende Händler, IT-Unternehmen, NGOs und Parteien.

Das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO

Gemäß Art. 15 DSGVO haben betroffene Personen das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. Ist dies der Fall, so haben sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen:

  • Die Verarbeitungszwecke;
  • die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden;
  • die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere bei Empfängern in Drittländern oder bei internationalen Organisationen;
  • falls möglich die geplante Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer;
  • das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten oder auf Einschränkung der Verarbeitung durch den Verantwortlichen oder eines Widerspruchsrechts gegen diese Verarbeitung;
  • das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde;
  • wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben werden, alle verfügbaren Informationen über die Herkunft der Daten;
  • das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 4 und – zumindest in diesen Fällen – aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person.

Das Urteil eindeutig

Mit seiner Vorlagefrage wollte das vorlegende Gericht im Wesentlichen festgestellt wissen, ob Art. 15 Abs. 1 Buchst. c DSGVO dahin auszulegen ist, dass das in dieser Bestimmung vorgesehene Recht der betroffenen Person auf Auskunft über die sie betreffenden personenbezogenen Daten bedingt, dass der Verantwortliche, wenn diese Daten gegenüber Empfängern offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, verpflichtet ist, der betroffenen Person die konkrete Identität der Empfänger mitzuteilen.

Das Auskunftsrecht eines Betroffenen nach Art. 15 DSGVO gilt im Allgemeinen als sehr weitgehend, die Grenzen sind aus wissenschaftlicher Sicht noch nicht abschließend ausdiskutiert. Problematisch ist dabei, dass die in Art. 15 enthaltenen Begriffe „Empfänger“ und „Kategorien von Empfängern“ nebeneinander aufgeführt sind, ohne dass daraus geschlossen werden kann, dass zwischen ihnen ein Vorrangverhältnis besteht

Der EuGH urteilte nun, dass dem Betroffenen die konkrete Identität der Empfänger grundsätzlich mitzuteilen sei. Ausnahmen von dem Umfang der Auskunft können jedoch dann bestehen, wenn der Empfänger (noch) nicht identifiziert werden kann oder der Antrag offenkundig unbegründet beziehungsweise exzessiv ist. In diesen Fällen könne sich die Mitteilung auf die Kategorie der Empfänger beschränken.

„(…) Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c DSGVO dahin auszulegen ist, dass das in dieser Bestimmung vorgesehene Recht der betroffenen Person auf Auskunft über die sie betreffenden personenbezogenen Daten bedingt, dass der Verantwortliche, wenn diese Daten gegenüber Empfängern offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, verpflichtet ist, der betroffenen Person die Identität der Empfänger mitzuteilen, es sei denn, dass es nicht möglich ist, die Empfänger zu identifizieren, oder dass der Verantwortliche nachweist, dass die Anträge auf Auskunft der betroffenen Person offenkundig unbegründet oder exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 DSGVO sind; in diesem Fall kann der Verantwortliche der betroffenen Person lediglich die Kategorien der betreffenden Empfänger mitteilen. (…)“

Bedeutung für die Praxis

In der Praxis stellt sich nun die Frage, wie Verantwortliche auf das Urteil reagieren sollten.

  • Nach Art. 12 Abs. 1 DSGVO können die Informationen schriftlich, auf elektronischem Wege oder, auf Verlangen der betroffenen Person, mündlich erteilt werden
  • Bei elektronischer Antragsstellung: Informationen gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO in einem gängigen elektronischen Format zur Verfügung zu stellen
  • Informationen gemäß Art. 12 Abs. 3 DSGVO unverzüglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zur Verfügung zu stellen (Frist kann in komplexen Fällen um zwei Monate verlängert werden)
  • Informationen sind grundsätzlich kostenlos zur Verfügung zu stellen
  • Neu ist, dass nun jeder einzelne Empfänger der Daten offengelegt werden muss, es sei denn, die betroffene Person entscheidet sich für eine bloße Offenlegung der Empfängerkategorien
  • Ausnahmen: Anträge auf Auskunft der betroffenen Person offenkundig unbegründet oder exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 DSGVO

Was für Strafen drohen Unternehmen, die der spezifischen Auskunftspflicht nicht nachkommen?

  • Bußgelder: DSGVO droht mit einer Geldbuße von bis zu 20 Millionen EUR oder bis zu 4 % des weltweit erwirtschafteten Jahresumsatzes im vorangegangenen Geschäftsjahr (angewendet wird der Wert, der höher ist)
  • Materieller und immaterieller Schadensersatz (Art. 82 DSGVO): Das Arbeitsgericht Düsseldorf (ArbG Düsseldorf, Urteil vom 5. März 2020, Az. 9 Ca 6557/18) hatte beispielsweise einen Schadenersatz in Höhe von 5.000 Euro wegen verspäteter und unzureichender Auskunftserteilung zugesprochen

Ausblick

Ob dieses Urteil auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Informationspflichten im Sinne von Art. 13 Abs. 1 lit. e DSGVO beziehungsweise Art. 14 Abs. 1 lit. e DSGVO haben wird, bleibt noch abzuwarten. Aufgrund der kurzen Reaktionszeit auf Auskunftsersuchen nach Art. 12 Abs. 3 DSGVO sollten Unternehmen aber in jedem Falle vorbereitet sein, die nun erforderlichen Informationen bereitzuhalten.

Rechtsanwalt Dr. Karsten Kinast, Geschäftsführer der KINAST Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, hat diese Woche im ARD-Morgenmagazin ein kurzes Interview zu dem Urteil gegeben. Hier geht es zum Bericht des Morgenmagazins.

Recht auf Vergessenwerden: Löschpflicht ja, Nachforschungspflicht nein

13. Dezember 2022

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am 8 Dezember 2022, dass Suchmaschinenbetreiber nachweislich unrichtige Informationen auslisten müssen.

Der Sachverhalt

Hintergrund der Entscheidung war die Vorlage des Bundesgerichtshofs (BGH) im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens.

Der Geschäftsführer mehrerer Finanzdienstleistungsunternehmen und die Prokuristin eines dieser Unternehmen hatten gegen Google geklagt. Der Suchmaschinenbetreiber hatte sich geweigert, kritische Artikel auf der Seite eines New Yorker Unternehmens aus seinen Suchergebnissen und Vorschaubildern auszulisten. Dieses Unternehmen stand laut verschiedener Veröffentlichungen unter dem Verdacht, Unternehmen mit negativen Berichten zu erpressen, die es nur gegen Geldzahlung löschte.

Zudem hatte Google Fotos als Vorschaubilder (sogenannte Thumbnails) in der Suchergebnisliste angezeigt, ohne den ursprünglichen Kontext der Veröffentlichung zu benennen. Diese Fotos zeigten die Kläger mit Luxusfahrzeugen, im Innenraum eines Hubschraubers und vor einem Flugzeug.

Datenschutz vs. Informationsrecht

Der EuGH betonte, dass das Recht auf Schutz personenbezogener Daten stets unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips mit anderen Grundrechten abgewogen werden müsse. So stünde es insbesondere im Spannungsverhältnis mit dem berechtigten Interesse der Internetnutzer am Zugang zu Informationen. Ausdruck finde dieses Spannungsverhältnis auch in Art. 17 Abs. 3 DSGVO, der das Recht auf Löschung ausschließe, wenn die Verarbeitung erforderlich zur Ausübung des Rechts auf freie Information sei. Privatsphäre und Datenschutz seien besonders schützenswert und könnten durch Suchmaschinen erheblich beeinträchtigt werden. Daher überwögen diese Rechte im Allgemeinen gegenüber Informations- und Meinungsäußerungsrechten. Doch gerade eine Person des öffentlichen Lebens müsse „ein höheres Maß an Toleranz aufbringen, da sie zwangsläufig und bewusst im Blick der Öffentlichkeit steht“.

Allerdings zog der EuGH eine klare Grenze bei unwahren Tatsachenbehauptungen. Diese seien keineswegs geschützt und in diesem Falle trete das Recht auf freie Information hinter dem Datenschutzrecht zurück. Voraussetzung sei, dass „zumindest ein für den gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil der Information, um die es in dem Auslistungsantrag geht, unrichtig“ sei.

Beweislast liegt bei betroffener Person – Keine Nachforschungspflicht der Suchmaschinenbetreiber

Um eine Auslistung zu erreichen, sei es laut EuGH erforderlich, dass die betroffene Person die Unrichtigkeit eines aufgelisteten Inhalts beweise. Sie dürfe jedoch nicht übermäßig belastet werden. Darum habe sie „lediglich die Nachweise beizubringen, die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls von ihr vernünftigerweise verlangt werden können, um diese offensichtliche Unrichtigkeit festzustellen.“ Insbesondere könne der Suchmaschinenbetreiber nicht von ihr erwarten, eine gerichtliche Entscheidung als Beweis vorzulegen. Sollte sie jedoch eine solche vorlegen können, genüge dies den Nachweispflichten. Im Gegenzug müsse sich bei Nichtvorliegen einer gerichtlichen Entscheidung die Unrichtigkeit aus den gewählten Nachweisen offensichtlich ergeben. Sofern dem Suchmaschinenbetreiber ein Verfahren bekannt ist, das die Richtigkeit der Information anzweifelt, müsse dieser Internetnutzer in den Suchergebnissen darüber informieren.

Entgegen der Ansicht des Generalanwalts lehnte der EuGH eine aktive Nachforschungspflicht des Suchmaschinenbetreibers ab. Eine solche Verpflichtung bringe die Gefahr mit sich, „dass Inhalte, die einem schutzwürdigen und überwiegenden Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit dienen, ausgelistet würden und es somit schwierig würde, sie im Internet zu finden. Insoweit bestünde die reale Gefahr einer abschreckenden Wirkung für die Ausübung der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, wenn der Betreiber der Suchmaschine eine solche Auslistung nahezu systematisch vornähme, um zu vermeiden, dass er die Last der Ermittlung der Tatsachen zu tragen hat, die für die Feststellung der Richtigkeit oder Unrichtigkeit des aufgelisteten Inhalts relevant sind.“

Fotos auf Thumbnails als besonders starker Eingriff in die Rechte der betroffenen Person

Zudem wies der EuGH darauf hin, dass die Thumbnails der Bildersuche einen schwerer wiegenden Grundrechtseingriff darstellen können als die Veröffentlichung durch den Herausgeber der Internetseite selbst. Dies gelte insbesondere bei der Anzeige von Fotos bei der namensbezogenen Suche. Das Bild einer Person sei „nämlich eines der Hauptmerkmale seiner Persönlichkeit, da es seine Einmaligkeit zum Ausdruck bringt und es erlaubt, ihn von anderen Personen zu unterscheiden.“ Daher müssten Personen Kontrolle über Bilder von sich haben. Dazu gehöre die Möglichkeit, die Verbreitung zu untersagen. Im Falle eines Auslistungsantrags müsse der Suchmaschinenbetreiber beachten, ob der Kontext, in dem die Suchmaschine das Bild anzeige, mit dem Kontext der ursprünglichen Veröffentlichung übereinstimme. Auch hier sei eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich. Man müsse unabhängig vom Text prüfen, „ob die Anzeige der fraglichen Fotos erforderlich ist, um das Recht auf freie Information auszuüben“.

Auswirkungen auf die Praxis

Die Entscheidung des EuGH bekräftigt erneut das Recht auf Vergessenwerden. Er präzisiert sein Urteil von 2014, in dem er dieses Recht ausformuliert hatte, und konkretisiert die Pflichten sowohl des Suchmaschinenbetreibers als auch der betroffenen Person. In der Praxis wird sich zeigen, inwieweit Suchmaschinenbetreiber wie Google die Nachweispflicht der betroffenen Person auslegen werden, wenn diese keine gerichtliche Entscheidung vorlegen kann.

 

Datenleck bei Thomson Reuters: Mindestens drei Terrabyte an Daten betroffen

3. November 2022

Wie nach Recherchen von Cybernews bekannt wurde, gab es bei Thomson Reuters kürzlich ein Datenleck, bei dem mindestestens drei seiner Datenbanken, darunter die drei Terrabyte große Datenbank ElasticSearch für jedermann zugänglich war.

Die betroffenen Daten

Thomson Reuters, der Nachfolger der Nachrichtenagentur Reuters, ist ein Medienkonzern mit Hauptsitzen in New York und Toronto. Der Konzern bietet seinen Kunden verschiedene Produkte wie das Medientool Reuters Connect, die Datenbank Westlaw oder auch andere Recherche-Suites an. Die von dem Datenleck betroffene Datenbank ElasticSearch enthält Informationen aus allen Plattformen des Konzerns und wird bevorzugt von Unternehmen eingesetzt, die mit umfangreichen, ständig aktualisierten Datenmengen arbeiten.

Laut Cybernews waren die Daten mehrere Tage lang verfügbar. Es waren sensible Daten betroffen, wie beispielsweise Informationen zu Lieferketten, Zugangsdaten zu Servern Dritter und Anmelde- und Kennwortrücksetzungsprotokolle, in denen die E-Mail-Adresse der Kontoinhaber und die genaue Zeit, zu der die Passwortänderung gesendet wurde, ersichtlich waren.

Die Reaktion des Konzerns

Thomson Reuters reagierte unverzüglich auf den Hinweis, schaltete die Server ab und leitete eine Untersuchung ein. Laut dem Unternehmen seien zwei der drei betroffenen Server so konzipiert gewesen, dass sie öffentlich zugänglich waren. Der dritte sei als sogenannter nicht-produktiver Server nur mit einer kleinen Untergruppe von Kunden verbunden gewesen und enthalte keine Anwendungsdaten. Zudem habe das Leck überwiegend Kunden in den USA betroffen, welche informiert worden seien.

Dagegen zweifeln die Forscher von Cybernews an, dass das Leck so harmlos war, wie es Thomson Reuters erscheinen lässt. Ihnen zufolge hat das Unternehmen Daten zugänglich gemacht, die in kriminellen Foren wegen des möglichen Zugriffs auf andere Systeme Millionen wert wären.

Fazit

Von außen lässt sich kaum beurteilen, wie schwer das Datenleck tatsächlich war. Es zeigt jedoch, wie wichtig es für Unternehmen ist, ihre digitale Infrastruktur kontinuierlich zu überprüfen, damit Sicherheitslücken nicht wie im vorliegenden Fall tagelang ungesehen bestehen bleiben und das Unternehmen angreifbar machen.

EuGH zur Verantwortlichkeit bei Einwilligungswiderruf nach Datenweitergabe

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass der Widerruf gegen eine einheitliche Einwilligung, aufgrund derer mehrere Verantwortliche personenbezogene Daten zum selben Zweck verarbeiten dürfen, nur gegen einen dieser Verantwortlichen erfolgen muss.  

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer wendete sich gegen den belgischen Telefonanbieter Proximus, der unter anderem öffentlich zugängliche Telefonverzeichnisse und Telefonauskunftsdienste anbietet. Darin sind Namen, Adressen und Telefonnummern enthalten, die von Anbietern öffentlich zugänglicher Telefondienste an Proximus übermittelt und auch von Proximus an andere Anbieter und Suchmaschinen wie Google weitergeleitet werden.

Nachdem seine wiederholte Aufforderung, seine Daten nicht in solchen Verzeichnissen zu führen, erfolglos waren, legte der Beschwerdeführer Beschwerde bei der belgischen Datenschutzbehörde ein. Die Datenschutzbehörde verhängte daraufhin ein Bußgeld in Höhe von 20.000 Euro und gab Proximus unter anderem auf, „dem Widerruf der Einwilligung des fraglichen Teilnehmers unverzüglich in angemessener Weise Rechnung zu tragen und den Aufforderungen dieses Teilnehmers, mit denen er sein Recht auf Löschung der ihn betreffenden Daten ausüben wolle, Folge zu leisten“.

Hiergegen klagte Proximus mit der Begründung, eine Einwilligung im Sinne der DSGVO sei nicht erforderlich. Vielmehr müssten Teilnehmer im Wege eines Opt-out selbst beantragen, nicht im Verzeichnis geführt zu werden.

Entscheidung

Der EuGH bestätigte in seiner Entscheidung zunächst das Einwilligungserfordernis bei der Veröffentlichung personenbezogener Daten in einem öffentlichen Teilnehmerverzeichnis. Sofern dritte Anbieter solcher Verzeichnisse denselben Zweck verfolgen, erstreckt sich diese Einwilligung auf jede weitere Verarbeitung der Daten. Dazu muss die betroffene Person nicht zwangsläufig zum Zeitpunkt der Einwilligung sämtliche Anbieter kennen. Allerdings genügt dann im Umkehrschluss eine einzige Widerrufserklärung gegenüber irgendeinem der Verantwortlichen. Der muss sämtliche anderen Verantwortlichen eigenständig über den Widerruf informieren.

Fazit

Die Entscheidung wird sich voraussichtlich auch auf andere Bereiche auswirken, in denen sich Verantwortliche auf eine einheitliche Einwilligung stützen. Für Betroffene bedeutet es eine erhebliche Erleichterung, den Widerruf nur an einen einer gegebenenfalls unbekannten Anzahl von Verantwortlichen richten zu müssen.  

LDI Nordrhein-Westfalen genehmigt EU-weit erste Datenschutz-Zertifizierung durch Privatunternehmen

19. Oktober 2022

Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen (LDI NRW) genehmigte am 7. Oktober 2022 erstmalig die Kriterien eines Unternehmens für die Zertifizierung von Auftragsverarbeitern. Mit dem Zertifikat „European Privacy Seal“ („EuroPriSe“) sollen Unternehmen zukünftig ihre DSGVO-konformen Auftragsverarbeitungen nachweisen können.

Bedeutung

Die EuroPriSe GmbH ist europaweit das erste Unternehmen, das eine Genehmigung für seinen Kriterienkatalog erhalten hat. Im Genehmigungsverfahren hat die LDI NRW „gemäß dem europäischen Datenschutzrecht geprüft, ob die Kriterien, nach denen die Zertifikate an Auftragsverarbeiter erteilt werden sollen, tatsächlich die Einhaltung der DSGVO bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sicherstellen – und damit die Persönlichkeitsrechte wahren.“

Allerdings befreit ein Zertifikat weder die Verantwortlichen und Auftragsverarbeiter noch die Aufsichtsbehörden von ihren Pflichten aus der DSGVO. Die Zertifizierung bleibt ein freiwilliges Instrument (vgl. Art. 42 Abs. 3 DSGVO), welches lediglich für einen Zeitraum von drei Jahren mit Aussicht auf Verlängerung erteilt werden kann (vgl. Art. 42 Abs. 3 S. 1 DSGVO).

Zertifizierungsverfahren nach Art. 42 DSGVO

Das Zertifizierungsverfahren nach Art. 42 DSGVO ist aufwendig und erfordert die Zusammenarbeit der Deutschen Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS) und der zuständigen Aufsichtsbehörde. Für eine Zertifizierung muss zudem die Empfehlung des Europäischen Datenschutzausschusses (EDSA) eingeholt und umgesetzt werden, damit eine einheitliche Anwendung der DSGVO in der EU gewährleistet werden kann.

Bewertung und Ausblick

Die Vorteile eines solchen Zertifikats sind vielfältig und beschränken sich nicht nur auf Marketing-Zwecke. Anwendungsbereiche werden von der DSGVO an verschiedenen Stellen explizit erwähnt. So kann ein Zertifikat für den Nachweis der DSGVO-Anforderungen beispielsweise bei der Beurteilung der Erfüllung der Pflichten des Verantwortlichen, Garantien des Auftragsverarbeiters, Datenübertragungen an ein Drittland oder auch bei der Datenschutz-Folgenabschätzung als Faktor herangezogen werden. Eine Zertifizierung kann Verantwortlichen und Auftragsverarbeitern also in vielen Bereichen den Nachweis der Pflichterfüllung erleichtern. Laut LDI NRW sei ein zentrales Ziel Transparenz, da Zertifikate als bewährtes Instrument den Markteilnehmenden einen „raschen Überblick über das Datenschutzniveau einschlägiger Produkte und Dienstleistungen“ lieferten.

Es bleibt abzuwarten, wie die Aufsichtsbehörden solche Zertifikate in Zukunft bei ihren Bewertungen von Verarbeitungsvorgängen einfließen lassen werden und ob sich die erhoffte Vereinfachung des Nachweises für Datenverarbeiter auch tatsächlich einstellt. Für den Markt bedeutet diese erste Genehmigung jedenfalls einen Meilenstein, der voraussichtlich den Weg für weitere Zertifizierungen nach Art. 42 DSGVO ebnen wird.

Vorratsdatenspeicherung: Neue Debatte nach anstehendem EuGH-Urteil?

20. September 2022

20. September 2022: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilt erneut über das Thema Vorratsdatenspeicherung. Diesmal geht es um das diesbezüglich schon länger auf Eis liegende deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Wird die Entscheidung des EuGHs frischen Wind in die Diskussion bringen?

Was soll gespeichert werden?

Grundsätzlich meint Vorratsdatenspeicherung das Speichern von Verbindungsdaten. Es handelt sich nicht um explizite Inhalte einzelner Kommunikationen, sondern um die abstrakte Speicherung von Kommunikationseckdaten. So ist also lediglich die Aufklärung und Speicherung im Kontext der folgenden Fragestellungen berührt:

– Wer hat wann mit wem wie lange telefoniert, und von welchem Ort aus?
– Wer hat an wen eine E-Mail geschrieben?
– Mit welcher IP-Adresse war ich wie lange im Internet unterwegs?

Adressaten der Vorratsdatenspeicherung

Speicherverpflichtete wären Kommunikationsunternehmen. Durch eine vorrätige Speicherung soll staatlichen Behörden ein Zugang zu Verbindungsdetails ermöglicht werden. Ein Zugang zu derartigen Informationen soll für zehn Wochen gewährleistet werden. Daneben sei auch ein Zugriff auf Standortdaten für einen Zeitraum von vier Wochen angedacht.

Wird der EuGH seine bisherige Linie beibehalten?

In einem Urteil im Jahr 2016 zu einem schwedischen Gesetz entschied und beanstandete der EuGH, „Eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung aller Vorratsdaten ohne konkreten Anlass sei nicht mit den EU-Grundrechten vereinbar”. Dieser strengen Linie blieb der EuGH in seinem Urteil im Jahr 2020 grundsätzlich treu, legte jedoch Ausnahmen für eine Speicherung fest. Staatlichen Behörden solle demnach ein Zugriff unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht werden. Dies solle auf Daten mit Verbindung zu Kriminalitätshotspots, zum nationalen Schutz vor akuter Terrorgefahr sowie der anlasslosen Speicherung von IP-Adressen anzuwenden sein.


Ob der EuGH einen Trend zur Lockerung der Vorratsdatenspeicherung setzt wird sich mit dem ersehnten Urteil zum deutschen Gesetz zeigen.

Warum Google Fonts eine datenschutzrechtliche Abmahnwelle verursacht?

23. August 2022

Am 18. August 2022 informierte der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (TLfDI), Dr. Lutz Hasse, in einer Pressemitteilung über eine drohende Abmahnwelle. Tausende von Websites-Betreiber seien nach dem TLfDI bereits von Abmahnungen betroffen.

I. Hintergrund der Abmahnungen

Google Fonts ist ein kostenloser Dienst des US-Anbieters Google. Dieser stellt kostenlose Schriftarten zur freien Verfügung bereit. Problematisch wird es an der Stelle, an der Google Fonts dynamisch auf Websites eingebettet werden. Durch die dynamische Einbindung des Dienstes werden Schriftarten von Servern aus den USA in den Browser der Besucher(innen) geladen. Dabei werden personenbezogene Daten wie die IP-Adresse der Besucher in die Vereinigten Staaten übermittelt. Eine Einbettung der Fonts kann auch durch andere Google Dienste, z.B. Google Maps, erfolgen.

II. Warum ist die Übermittlung problematisch?

Nach dem TLfDI müsste einer solchen Übermittlung der Daten, nach der DSGVO, mindestens eine Einwilligung der Nutzer vorangehen. Dies soll in den Sachverhalten überwiegend nicht der Fall gewesen sein. Zudem handle es sich bei der Übermittlung von Daten in die USA um einen Transfer von Daten in einen Drittstaat, der kein ausreichendes Datenschutzniveau im Sinne der DSGVO bietet. Dazu komme nicht minder die Tatsache, dass eine solche zustimmungslose und automatische Weiterleitung der IP-Adressen an Google eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Persönlichkeitsrechts darstelle. So das Landgericht München I im Endurteil vom 20. 01. 2022.

III. Was könnte ein Lösungsansatz sein?

Das TLfDI gibt Empfehlungen zur Nutzung von Google Fonts. In „Empfehlungen des TLfDI zu Google Fonts zur Vermeidung von Abmahnungen“ wird das lokale Speichern von Schriftarten und sodann die Einbindung in den eigenen Internetauftritt geraten.
Für viele Websites-Betreiber war diese Thematik bisher ein blinder Fleck im Kontext des Datenschutzrechts und dem technischen Verständnis von Google Fonts. Es ist also ratsam die eigene Website bezüglich der Einbindung von Google Fonts zu überprüfen.

Können hypothetische Zugriffsmöglichkeiten bereits einen Datentransfer in ein Drittland i.S.v. Art. 44 DSGVO darstellen?

17. August 2022

Die Vergabekammer Baden-Württemberg hat mit einem nicht rechtskräftigen Beschluss vom 13. Juli 2022 (Az. 1 VK 23/22) für Diskussionen gesorgt. Sie ist der Auffassung, dass unzulässige Datenexporte auch dann vorliegen, wenn die entsprechende Infrastruktur durch eine europäische Tochtergesellschaft betrieben wird, welche zu einem amerikanischen Konzern gehört.

1. Sachverhalt

In einem Ausschreibungsverfahren streiten sich zwei Konkurrentinnen um einen Auftrag.  Eine Konkurrentin fordert hierin den Ausschluss der anderen aus dem Vergabeverfahren, da diese durch den Einsatz eines Rechenzentrumsbetreibers, dessen Konzernunternehmen in Drittstaaten ansässig ist, gegen die Bedingungen im Lastenheft im Kontext „Anforderungen an IT-Sicherheit und Datenschutz“ verstoße. Die Bedingungen lauten u.a. wie folgt:

“(…)

– Erfüllung der Anforderungen aus der DS-GVO und dem BDSG (…)

– Daten werden ausschließlich in einem EU-EWR Rechenzentrum verarbeitet bei dem keine Subdienstleister / Konzernunternehmen in Drittstaaten ansässig sind

(…)”

2. Vergabekammer Baden-Württemberg sieht unzulässige Übermittlung

Unter Drittländern versteht man Länder, die weder Mitglied der Europäischen Union noch des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) sind, z.B. die USA, Israel und die Schweiz. Durch die Ansässigkeit des Rechenzentrumsbetreibers in den USA sieht die Vergabekammer eine unzulässige Übermittlung in die USA. So genügt nach ihrer Auffassung schon die lediglich vorhandene Möglichkeit, auf personenbezogene Daten zugreifen zu können, unabhängig davon, ob ein solcher Zugriff am Ende erfolgt oder nicht.

3. Ausblick

Die Ansicht der Vergabekammer könnte möglicherweise eine richtungsweisende Entscheidung im Kontext einer bisher noch ungeklärten Frage darstellen. Können US-Tech-Anbieter weiterhin über eine europäische Tochtergesellschaft Dienstleistungen erbringen oder könnte dies trotz der Verwendung von Standardvertragsklauseln (Standarddatenschutzklauseln) zukünftig unzulässig sein? Es bleibt demnach spannend.

EuGH zur Auslegung von Art. 6 und 9 der DSGVO

10. August 2022

In seinem Urteil (EuGH, Urteil v. 01.08.2022 – EuGH AZ: C-184/20) hatte sich der Europäische Gerichtshof mit zwei Vorlagefragen bezüglich der Auslegung der DSGVO zu befassen.

Ausgangsrechtsstreit

Am 07. Februar 2018 entschied die Oberste Ethikkommission, dass ein Leiter einer Einrichtung litauischen Rechts aus dem Bereich des Umweltschutzes, die öffentliche Mittel erhält, gegen Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 des litauischen Gesetzes über den Interessenausgleich verstoßen habe, indem er keine Erklärung über private Interessen vorgelegt habe. Gegen diese Entscheidung erhob dieser Leiter beim litauischen Gericht Anfechtungsklage. Er war der Ansicht, ihn treffe keine Pflicht zur Erklärung privater Interessen. Jedenfalls verletze die Veröffentlichung dieser Erklärung sowohl sein eigenes Recht auf Achtung seines Privatlebens als auch das der anderen Personen, die er in seiner Erklärung angeben müsste. Das litauische Regionalverwaltungsgericht Vilnius hat sodann beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  • Ist die in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c der DSGVO festgelegte Bedingung im Hinblick auf die in Art. 6 Abs. 3 der DSGVO festgelegten Anforderungen und ferner im Hinblick auf die Art. 7 und 8 der Charta dahin auszulegen, dass das nationale Recht nicht die Offenlegung der in Erklärungen über private Interessen enthaltenen Daten und deren Veröffentlichung auf der Website des Verantwortlichen verlangen darf, wodurch allen Personen, die Zugang zum Internet haben, Zugang zu diesen Daten gewährt wird?
  • Ist das in Art. 9 Abs. 1 der DSGVO normierte Verbot der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten unter Berücksichtigung der in Art. 9 Abs. 2 der DSGVO festgelegten Bedingungen, einschließlich der in Buchst. g genannten Bedingung, auch in Hinblick auf die Art. 7 und 8 der Charta dahin auszulegen, dass das nationale Recht nicht die Offenlegung von Daten in Erklärungen über private Interessen verlangen darf, durch die personenbezogene Daten offenbart werden können, einschließlich solcher Daten, die Rückschlüsse auf politische Ansichten, Gewerkschaftszugehörigkeit, sexuelle Orientierung oder andere persönliche Informationen zulassen, und auch nicht ihre Veröffentlichung auf der Website des Verantwortlichen, wodurch allen Personen mit Zugang zum Internet Zugang zu diesen Daten gewährt wird?

Zu Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 DSGVO

In dem vorgelegten Fall diente die Datenverarbeitung durch Veröffentlichung der Inhalte einer Erklärung über private Interessen auf der Website der Ethikkommission der Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung aus Art. 10 des litauischen Gesetzes über den Interessenausgleich. Somit fällt die Datenverarbeitung unter Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c der DSGVO. Dieser Art. 10 des Gesetzes über den Interessenausgleich muss als Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung dann ebenfalls den Anforderungen aus Art. 52 Abs. 1 der Charta und Art. 6 Abs. 3 der DSGVO genügen.

Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung hatte der EuGH zum Schluss die Schwere des Eingriffs in die Grundrechte der Art. 7 und 8 der Charta gegen die Bedeutung der Ziele des Gesetzes über den Interessenausgleich, nämlich die Verhütung von Interessenkonflikten und von Korruption im öffentlichen Sektor, abzuwägen. Hierbei seien die konkreten Ausprägungen und das Ausmaß der Korruption im öffentlichen Dienst des betreffenden Mitgliedstaats zu berücksichtigen, sodass das Ergebnis der Abwägung nicht unbedingt für alle Mitgliedstaaten gleich ausfallen würde. Zudem ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass das Allgemeininteresse an der Veröffentlichung personenbezogener Daten aus einer Erklärung über private Interessen je nach Bedeutung der Aufgaben der erklärungspflichtigen Person variieren kann. Eine Online-Veröffentlichung von Daten, die geeignet sind, Informationen über bestimmte sensible Aspekte des Privatlebens der betroffenen Personen und ihm nahestehende Personen, wie z.B. ihre sexuelle Orientierung, zu offenbaren, sei als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz der personenbezogenen Daten anzusehen. Aber auch die Korruptionsbekämpfung sei in der Union von großer Bedeutung.

Zur Abwägung führte der EuGH aus: “Im Vergleich zu einer Erklärungspflicht in Verbindung mit einer von der Obersten Ethikkommission ausgeübten Inhaltskontrolle, deren Wirksamkeit der betreffende Mitgliedstaat zu gewährleisten hat, indem er diese Behörde mit den dafür erforderlichen Mitteln ausstattet, stellt eine solche Veröffentlichung einen erheblich schwereren Eingriff in die durch die Art. 7 und 8 der Charta verbürgten Grundrechte dar, ohne dass diese zusätzliche Schwere durch etwaige Vorteile kompensiert werden könnte, die sich hinsichtlich der Verhütung von Interessenkonflikten und der Bekämpfung von Korruption aus der Veröffentlichung aller dieser Daten ergeben könnten.” (EuGH, Urt. v. 1.8.22, AZ: C-184/20, Rn. 112).

Zu Art. 9 Abs. 1 der DSGVO

Der EuGH wurde des Weiteren vor die Frage gestellt, ob auch Daten, aus denen mittels gedanklicher Kombination oder Ableitung auf die sexuelle Orientierung einer Person geschlossen werden kann, ebenfalls unter die besonderen Kategorien personenbezogener Daten nach Art. 9 DSGVO fallen, obwohl die verarbeiteten Daten ihrer Natur nach nicht direkt sensible Daten darstellen. Der EuGH führt dazu aus, dass eine Auslegung des Wortlauts des Art. 9 Abs. 1 DSGVO (“zu”, “über”) dahingehend, dass eine direktere Verbindung zwischen der Verarbeitung und den betreffenden Daten bestehen muss und nicht bereits ein indirektes Schließen auf sensible Informationen ausreicht, nicht im Einklang mit einer kontextbezogenen Analyse der Vorschriften stehen würde. Insbesondere der Normzweck der Gewährleistung eines erhöhten Schutzes vor Datenverarbeitungen, die aufgrund besonderer Sensibilität einen besonders schweren Eingriff in die Grundrechte aus Art. 7 und 8 der Charta darstellen können, spreche für eine weite Auslegung der Begriffe des Art. 9 Abs. 1 DSGVO.

Die Entscheidung zeigt, dass sich der EuGH für den Datenschutz ausspricht und dieser auch im Rahmen wichtiger Themen wie Korruption im öffentlichen Sektor noch großen Einfluss hat und im Einzelfall überwiegen kann. Auch zeigt die weite Auslegung des Begriffs der sensiblen Daten, dass diese auch vorliegen, obwohl es auf den ersten Blick nicht danach aussieht.

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