BVerfG schärft das “Recht auf Vergessen”
Die Beschlüsse Recht auf Vergessen I und II ergingen am selben Tag und stehen in direktem Zusammenhang. Während im ersten Blogeintrag die Grundsätze der Anwendbarkeit von Unionsgrundrechten und deutschem Grundgesetz aufgezeigt wurden, wird im Folgenden auf den Beschluss ‚Recht auf Vergessen I‘ eingegangen. In diesem schärft das BVerfG das Recht auf Vergessen.
Der Sachverhalt
Im zugrundeliegenden Fall begehrte der Beschwerdeführer die Löschung eines Artikels, der auf Spiegel Online kostenlos zum Abruf bereitgehalten wurde und bei Google bei Eingabe seines Namens unter den ersten Treffern auftauchte. Der Beschwerdeführer wurde 1982 wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und 2002 auf der Haft entlassen. Während das Landgericht dem Beschwerdeführer noch einen Unterlassungsanspruch gegen die Veröffentlichung des Berichts zugestand und die Berufung erfolglos blieb, wies in der Revision der BGH die Klage ab.
Die rechtliche Würdigung
Das BVerfG stellt zunächst fest, dass die Verarbeitung zu journalistischen Zwecken in den Bereich des Medienprivilegs fällt, für das Art. 85 DSGVO eine Öffnungsklausel vorsieht. Wegen des weitgehenden Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten, sei hier das deutsche Grundgesetz anwendbar. Gleichwohl könnten die Garantien der Unionsgrundrechte als Auslegungshilfe Berücksichtigung finden.
Bevor das BVerfG in die grundrechtliche Abwägung einsteigt setzt es sich dezidiert mit dem Recht auf Vergessen auseinander. Dieses leitet es aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Abgrenzung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung ab. Allein Ersteres umfasse den Schutz vor der Verarbeitung personenbezogener Berichte und Informationen als Ergebnis eines Kommunikationsprozesses. In der Folge wägt das BVerfG das Recht auf Vergessen des Beschwerdeführers mit der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit von Spiegel Online ab. Während für aktuelle Berichterstattungen über Straftaten in der Regel dem Informationsinteresse Vorrang einzuräumen sei, könne ein zunehmender zeitlicher Abstand das Ergebnis verändern. Hierbei könne keine allgemeine Frist fixiert werden. Es müsse das Interesse an der Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft berücksichtigt werden.
Bei der Abwägung sei insbesondere einzustellen, dass die Informationen für jedermann unmittelbar und dauerhaft abrufbar sind. Das BVerfG zählt ein Reihe weiterer in der Abwägung maßgeblicher Gesichtspunkte auf. So seien die Wirkungen, die zurückliegende Berichte auf das Privatleben und die Entfaltungsmöglichkeiten der Person haben, zu berücksichtigen. Auch komme es darauf an, ob das Ereignis für sich allein oder in gesellschaftlichem Kontext steht. Zudem komme es darauf an, ob das Verhalten des Betroffenen von einem „Vergessenwerdenwollen“ getragen sei. Die Belastungswirkung für den Betroffenen bestimme sich auch danach, ob der Bericht breitenwirksam gestreut wird, indem er durch Suchmaschinen leicht auffindbar ist. Das BVerfG stellt aber klar, dass es kein Recht auf Vergessenwerden in einem grundsätzlich allein von den Betroffenen beherrschbaren Sinn gebe.
Das Ergebnis
Die Entscheidung des BGH halte diesen Anforderungen nicht stand. Sie habe insbesondere die zeitliche Distanz zum Strafverfahren und die konkrete Situation des Beschwerdeführers nicht hinreichend gewürdigt.