Kategorie: EuGH-Urteil

Die Meta-Entscheidung des EuGH

2. August 2023

Am 4. Juli 2023 fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil bezüglich der Meta-Entscheidung des Bundeskartellamts. Der EuGH scheint  eine bislang offene juristische Frage geklärt zu haben: Kann eine alternative rechtliche Grundlage für die Datenverarbeitung herangezogen werden, wenn die ursprünglich angegebene Grundlage unwirksam ist, etwa wenn eine Einwilligung rechtswidrig erfolgt ist?

Das Verfahren

Der Hintergrund des Verfahrens liegt in der Praxis von Meta Platforms Ireland und Facebook Deutschland (Meta), Daten seiner Nutzer nicht nur auf Facebook selbst, sondern auch über seine Tochterfirmen und über Schnittstellen auf anderen Webseiten zu sammeln und diese zu detaillierten Nutzerprofilen zu verknüpfen. Das Bundeskartellamt (BKartA) sah darin einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung von Meta. Deswegen erließ das Bundeskartellamt erließ 2019 einen Beschluss gegen Meta, der Gegenstand des vorliegenden Gerichtsverfahrens war. In diesem Beschluss untersagte das Bundeskartellamt Meta, sich durch Zustimmung zu den Allgemeinen Nutzungsbedingungen zur Nutzung von Facebook auch die Erhebung und Verarbeitung von sogenannten “Off-Facebook-Daten” genehmigen zu lassen.

Off-Facebook-Daten

Bei den Off-Facebook-Daten handelt es sich um Informationen, die Meta außerhalb von Facebook, Instagram oder WhatsApp sammelt. Diese Daten werden durch das Werbenetzwerk von Meta auf zahlreichen Webseiten und Apps sowie den zum Meta-Konzern gehörenden Online-Diensten erfasst. Mithilfe dieser Off-Facebook-Daten kann Meta das Konsumverhalten, die Interessen, die Kaufkraft und die Lebenssituation der Nutzer in Profilen erfassen. Auf dieser Grundlage können gezielte und personalisierte Werbenachrichten an die Facebook-Nutzer gesendet werden.

BKartA rügt Metas Nutzungsbedingungen

Die Nutzungsbedingungen müssten vielmehr klarstellen, dass diese Daten nur mit ausdrücklicher Einwilligung verarbeitet und mit dem Facebook-Nutzerkonto verknüpft werden. Darüber hinaus dürfe die Einwilligung nicht zur Voraussetzung für die Nutzung des sozialen Netzwerkes gemacht werden. Das Bundeskartellamt war der Ansicht, dass durch diese Gestaltung der Nutzungsbedingungen, die nicht den Marktverhaltensregeln und Werten der DSGVO entspricht, Meta seine marktbeherrschende Stellung missbrauche. Kurz darauf, noch im Jahr 2019, änderte Meta seine eigenen Nutzungsbedingungen dahingehend, dass die Nutzer bei der Nutzung von Facebook-Produkten in die Verarbeitung von Off-Facebook-Daten einwilligen müssen, da ansonsten für die Services keine Kosten entstehen würden.

Gegen diesen Beschluss des Bundeskartellamts legte Meta gerichtlichen Widerspruch ein. Im Laufe dieses Verfahrens wandte sich das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf in einem sogenannten Vorlageverfahren an den EuGH. Bei einem Vorlageverfahren entscheidet der EuGH nicht als höhere Instanz über den jeweiligen Rechtsstreit, sondern beantwortet spezifische Fragen zur Auslegung des Europäischen Rechts, wie beispielsweise der DSGVO.

Die Vorlage an den EuGH

Der EuGH hat ausschließlich zu den spezifischen Fragen des vorlegenden Gerichts Stellung genommen, und die Antworten des EuGH sind für das OLG Düsseldorf bindend, wenn es seine eigene Entscheidung in der Sache trifft. Letztendlich liegt die endgültige Entscheidung in der Zuständigkeit des OLG Düsseldorf.

Das Urteil hat auch erhebliche Auswirkungen auf zukünftige Bewertungen im Bereich des Datenschutzes. Die Tatsache, dass ein soziales Netzwerk kostenlos ist, bedeutet nicht automatisch, dass die Daten des Nutzers ohne dessen Einwilligung zur Personalisierung von Werbung verarbeitet werden können. Daher kann das berechtigte Interesse gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO keine rechtliche Grundlage dafür sein. Jedoch hat der EuGH wiederholt betont, dass Marketing weiterhin auf das berechtigte Interesse gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gestützt werden kann, sofern die Nutzungsbedingungen von Meta transparent und für den Nutzer verständlich geändert werden. Somit wird auch in Zukunft Werbung ohne Einwilligung möglich sein.

Das Urteil scheint auch eine bisher ungeklärte Frage zu beantworten, nämlich ob alternative Rechtsgrundlagen aus Art. 6 Abs. 1 lit. b-f DSGVO überhaupt herangezogen werden können, wenn eine zuvor erteilte Einwilligung als rechtswidrig erachtet wird. Der EuGH betont jedoch, dass solche alternativen Rechtsgrundlagen in solchen Fällen eng auszulegen sind.

BfDI Professor Ulrich Kelber äußerte sich dazu wie folgt: “Ich bin erfreut darüber, dass der EuGH anerkennt, wie wichtig die Einhaltung von Datenschutzanforderungen für den Wettbewerb ist und dass Kartellbehörden befugt sind, die Vereinbarkeit des Verhaltens von Unternehmen mit dem Datenschutzrecht zu überprüfen. Mein Glückwunsch geht an das Bundeskartellamt für diesen Erfolg.”

Zusammenarbeit zwischen Datenschutz- und Kartellbehörden

Der EuGH klärte auch, dass Verstöße gegen die DSGVO vorrangig von Datenschutzaufsichtsbehörden festgestellt werden sollten. Das bedeutet, dass das Bundeskartellamt die zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden in datenschutzrechtliche Fragen einbeziehen muss, bevor es eigene Entscheidungen trifft.

Hierzu kommentierte der BfDI: “Kartell- und Datenschutzaufsichtsbehörden können datengetriebene Geschäftsmodelle nur erfolgreich regulieren, wenn sie eng zusammenarbeiten. Das bestätigt die Praxis in Deutschland, wo Bundeskartellamt und der Bundesdatenschutzbeauftragte entsprechend kooperieren. Gemeinsam mit unseren europäischen Kolleginnen und Kollegen werde ich die Entscheidung in der Task Force des Europäischen Datenschutzausschusses zum Zusammenspiel von Datenschutz, Wettbewerb und Verbraucherschutz auswerten und Best Practices für eine effiziente Zusammenarbeit festlegen, damit Bürgerinnen und Bürger besser vor rechtswidrigen und missbräuchlichen Datenverarbeitungen geschützt werden. Die Erfahrungen der Zusammenarbeit in Deutschland sind dafür eine gute Grundlage.”

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Onlinemarketing auch in Zukunft weiterhin möglich sein wird. Obwohl diese Entscheidung sich speziell auf den Einzelfall Meta konzentriert hat, enthält sie dennoch neue und wertvolle Erkenntnisse, die auch für die Bewertung anderer Social Media Dienste relevant sein könnten, die keine marktbeherrschende Position innehaben und weniger Daten sammeln oder andere Techniken verwenden.

Datenübermittlung in die USA: Trans-Atlantic Data Privacy Framework beschlossen

12. Juli 2023

Am 10.7.2023 hat die EU-Kommission eine neue Entscheidung getroffen, um den sicheren Datenverkehr zwischen der EU und den USA zu gewährleisten. Mit dem Trans-Atlantic-Data-Privacy-Framework (TADPF) wird nun bereits der dritte Versuch unternommen, nach “Safe Harbor” und “Privacy Shield” transatlantische Datentransfers möglichst unkompliziert zu gestalten. Mit dieser Vereinbarung können nun Daten von Unternehmen wie Google, Microsoft, Meta, AWS und anderen sicher von der EU in die USA übermittelt werden.

Der Hintergrund des TADPF liegt in der Unwirksamkeit der vorherigen Regelungen Safe-Harbour und Privacy-Shield, die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) 2015 bzw. 2020 für ungültig erklärt wurden. Seit dem 10.07.2023 gilt nun der lang erwartete neue Angemessenheitsbeschluss gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zwischen der EU und den USA. Dieser Beschluss wurde getroffen, um eine sichere Übermittlung von Daten zwischen der EU und den USA zu gewährleisten. Das Trans-Atlantic Data Privacy Framework ist ein Abkommen, das zwischen den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten geschlossen wurde.

Das Data Privacy Framework

Das TADPF ist ein Angemessenheitsbeschluss gemäß Art. 45 Abs. 1 DSGVO. Gemäß diesem Beschluss gelten die USA erneut als sicherer Drittstaat in Bezug auf den Datenschutz. Dadurch sind für Datenexporte an Empfänger in den USA keine zusätzlichen Legitimationsinstrumente mehr erforderlich. Allerdings hat das TADPF im Vergleich zu anderen Angemessenheitsbeschlüssen nur begrenzte Wirkung. Ähnlich wie beim vorherigen Privacy Shield gilt die privilegierte Wirkung des TADPF nur für Datenempfänger, die sich einem Selbstzertifizierungsmechanismus unterziehen und sich verpflichten, eine Reihe detaillierter Datenschutzverpflichtungen einzuhalten. Unternehmen, die gemäß den Kriterien des TADPF zertifiziert sind, werden voraussichtlich auf der Website www.dataprivacyframework.gov aufgeführt sein.

Was ist ein Angemessenheitsbeschluss?

Ein Angemessenheitsbeschluss gemäß der DSGVO, speziell Art. 45 Abs. 3 DSGVO, ist im Grunde genommen eine Entscheidung der Europäischen Kommission, die besagt, dass ein Drittland (ein Land außerhalb der EU/EWR) ein angemessenes Schutzniveau für personenbezogene Daten bietet. Dieser Beschluss bestätigt, dass das betreffende Drittland Datenschutzstandards eingeführt hat, die mit den Standards der EU vergleichbar sind und den Schutz personenbezogener Daten in ähnlicher Weise gewährleisten. Infolgedessen dürfen personenbezogene Daten ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen in dieses Drittland übertragen werden.

Safe-Harbour und Privacy-Shield waren ebenfalls solche Angemessenheitsbeschlüsse. Wie bekannt ist, wurden beide von dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) für ungültig erklärt. Einer der Hauptgründe dafür war, dass die USA kein Datenschutzniveau bieten konnten, das mit dem EU-Standard vergleichbar war. Insbesondere die nahezu uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit von US-Behörden, insbesondere der National Security Agency (NSA), auf personenbezogene Daten von EU-Bürgern spielte dabei eine Rolle. Dies galt sogar dann, wenn Unternehmen ihren Sitz in den USA hatten, aber ihre Dienstleistungen in der EU erbrachten.

Hintergrund: Executive Order vom 07.10.2022

Um die Zugriffsmöglichkeiten der NSA auf personenbezogene Daten von EU-Bürgern einzuschränken, unterzeichnete US-Präsident Biden bereits am 07.10.2022 die “Executive Order on Enhancing Safeguards for United States Signals Intelligence Activities“. Diese Maßnahme sollte sicherstellen, dass zumindest der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Vor jedem Zugriff auf Daten von EU-Bürgern müssen die US-Geheimdienste nun überprüfen, ob der Zugriff auf die Daten verhältnismäßig ist. Darüber hinaus wurde ein Beschwerdeverfahren für EU-Bürger in den USA eingerichtet. EU-Bürger können sich daher beim Civil Liberties Protection Officer der US-Geheimdienste beschweren. Sollte eine solche Beschwerde nicht erfolgreich sein, haben EU-Bürger die Möglichkeit, vor einem neu geschaffenen Gericht, dem Civil Liberties Protection Officer, Klage zu erheben.

Diese Executive Order hat im Wesentlichen dazu geführt, dass die EU das TADPF beschlossen hat.

Sichere Datenübermittlung zwischen EU und USA wieder möglich?

Solange der Europäische Gerichtshof (EuGH) das TADPF nicht erneut für ungültig erklärt, können sich EU-Unternehmen darauf verlassen, dass Unternehmen, die gemäß dem TADPF zertifiziert sind, die Datenschutzstandards einhalten. Im Gegensatz zu den Standardvertragsklauseln gemäß Art. 46 Abs. 2 lit. c DSGVO, die vor der Einführung des TADPF hauptsächlich als Rechtsgrundlage für die Übermittlung personenbezogener Daten zwischen der EU und den USA verwendet wurden, soll beim TADPF die verpflichtende eigene Prüfung des Standards bei den jeweiligen US-Unternehmen entfallen.

EuGH: Vereinbarkeit von Datenschutzbeauftragterrolle und Betriebsratsvorsitz

9. Juni 2023

Das Europäische Gerichtshof (EuGH) hat kürzlich ein wegweisendes Urteil zur Vereinbarkeit der Rolle eines Datenschutzbeauftragten mit dem Amt des Betriebsratsvorsitzenden gefällt. Das Urteil betrifft den Fall eines Arbeitnehmers, der sowohl als Datenschutzbeauftragter als auch als Betriebsratsvorsitzender tätig war (EuGH, Urteil vom 9. Februar 2023, Az. C-453/21). Das vorlegende deutsche Gericht bat den EuGH um Klärung von Fragen zur Auslegung des Unionsrechts in diesem Zusammenhang.

Der Fall

Der Kläger, FC, war seit 1993 bei der Firma X-FAB beschäftigt und hatte die Position des Betriebsratsvorsitzenden inne. Zusätzlich wurde er zum Datenschutzbeauftragten von X-FAB und deren Muttergesellschaft sowie anderen Tochtergesellschaften in Deutschland bestellt. Der Kläger wurde auf Ersuchen des Thüringer Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zum Datenschutzbeauftragten ernannt. X-FAB und die genannten Unternehmen beabsichtigten, einen konzerneinheitlichen Datenschutzstandard zu erreichen.

X-FAB argumentierte, dass eine Vereinbarkeit der Positionen des Datenschutzbeauftragten und des Betriebsratsvorsitzenden aufgrund eines potenziellen Interessenkonflikts nicht möglich sei und forderte die Abberufung des Klägers als Datenschutzbeauftragter. Der Kläger erhob daraufhin Klage, um seine Position als Datenschutzbeauftragter beizubehalten.

Die Vorlagefragen an den EuGH:

Das Bundesarbeitsgericht legte dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor (wir berichteten). Die Hauptfrage bezog sich darauf, ob Artikel 38 Absatz 3 Satz 2 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einer nationalen Bestimmung (§ 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG a.F.) entgegenstehe, die die Abberufung eines Datenschutzbeauftragten durch den Arbeitgeber an bestimmte Voraussetzungen knüpft. Artikel 38 Absatz 3 Satz 2 der DSGVO besagt, dass eine nationale Regelung, die vorsieht, dass ein Datenschutzbeauftragter nur aus wichtigem Grund abberufen werden kann, nicht im Widerspruch zur DSGVO steht. Dies bedeutet, dass ein Datenschutzbeauftragter, der bei einem Verantwortlichen oder einem Auftragsverarbeiter beschäftigt ist, nur unter bestimmten Bedingungen abberufen werden darf. Gemäß dieser Bestimmung darf die Abberufung eines Datenschutzbeauftragten nicht mit der Erfüllung seiner Aufgaben zusammenhängen. Mit anderen Worten, der Datenschutzbeauftragte kann nicht entlassen werden, weil er seine Aufgaben im Bereich des Datenschutzes ordnungsgemäß erfüllt. Stattdessen muss ein “wichtiger Grund” für die Abberufung vorliegen, der in der Regel nichts mit der Datenschutzfunktion des Beauftragten zu tun hat. Diese Bestimmung gewährleistet die Unabhängigkeit und Integrität des Datenschutzbeauftragten. Sie soll sicherstellen, dass der Datenschutzbeauftragte seine Aufgaben frei und unabhängig von Einflüssen oder Interessen Dritter erfüllen kann. Die genaue Definition und Auslegung eines “wichtigen Grundes” obliegt jedoch den nationalen Rechtsvorschriften und den zuständigen Gerichten.

Zusätzlich wurde gefragt, ob diese Bestimmung auch dann gelte, wenn die Benennung eines Datenschutzbeauftragten nicht nach der DSGVO verpflichtend ist, sondern nur nach nationalem Recht.

Schließlich sollte der EuGH klären, ob Artikel 38 Absatz 3 Satz 2 der DSGVO eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage darstelle und ob ein Interessenkonflikt vorliege, wenn der Datenschutzbeauftragte gleichzeitig das Amt des Betriebsratsvorsitzenden innehat.

Entscheidung des EuGH

Gemäß Artikel 38 Absatz 3 Satz 2 DSGVO sei es zulässig, einen Datenschutzbeauftragten nur aus wichtigem Grund abzuberufen, selbst wenn die Abberufung nicht mit der Erfüllung seiner Aufgaben zusammenhänge. Der EuGH entschied somit, dass Artikel 38 Absatz 3 Satz 2 der DSGVO einer nationalen Regelung, die die Abberufung eines Datenschutzbeauftragten nur aus wichtigem Grund erlaube, nicht entgegenstehe, solange sie die Ziele der Verordnung nicht beeinträchtige.

Darüber hinaus stellte der EuGH fest, dass ein “Interessenkonflikt” im Sinne von Artikel 38 Absatz 6 der DSGVO vorliegen könne, wenn einem Datenschutzbeauftragten andere Aufgaben oder Pflichten übertragen werden, die ihn dazu veranlassen würden, die Zwecke und Mittel der Datenverarbeitung festzulegen. Die Feststellung, ob ein solcher Interessenkonflikt bestehe, obliege jedoch dem nationalen Gericht und erfordere eine umfassende Prüfung aller relevanten Umstände.

Fazit

Die Aufgaben eines Betriebsratsvorsitzenden und eines Datenschutzbeauftragten können somit nicht durch dieselbe Person ohne Interessenkonflikt ausgeübt werden. Zusätzlich hat der EuGH mit diesem Urteil Klarheit darüber geschaffen, dass ein Datenschutzbeauftragter nur aus wichtigem Grund abberufen werden kann und dass ein potenzieller Interessenkonflikt bei der Wahrnehmung anderer Aufgaben oder Pflichten geprüft werden muss. Dies stärkt die Position und Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten in Unternehmen und gewährleistet einen effektiven Datenschutz gemäß den Zielen der DSGVO.

EuGH-Generalstaatsanwalt gegen verschuldensunabhängige Haftung

15. Mai 2023

Der langjährige Rechtsstreit um eine Geldstrafe gegen die Deutsche Wohnen SE, die von der Berliner Aufsichtsbehörde (BlnBDI) verhängt wurde, steht erneut im Fokus des Datenschutzrechts. Nachdem das Kammergericht Berlin (KG) vorläufig den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen hatte und die Parteien in einer mündlichen Verhandlung vor dem EuGH angehört wurden, äußerte sich Ende April auch Generalstaatsanwalt Campos Sánchez-Bordona zu dem Fall. In seinen Schlussanträgen bestätigte der Generalanwalt zwar, dass Bußgelder gemäß der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) grundsätzlich direkt gegen Unternehmen verhängt werden können, lehnte jedoch die Frage ab, ob diese auch unabhängig von einem Verschulden erlassen werden können. Damit wurde der Forderung nach einer Haftung ohne Verschulden, auch bekannt als “strict liability”, eine Absage erteilt. Eine endgültige Entscheidung des EuGH zur Klärung dieser Fragen steht noch aus und wird mit Spannung in naher Zukunft erwartet.

Rechtlicher Hintergrund

Im Oktober 2019 verhängte die Berliner Aufsichtsbehörde gegen den Immobilienkonzern Deutsche Wohnen SE eine Geldstrafe in Höhe von 14,5 Millionen Euro aufgrund von Datenschutzverstößen gegen die DSGVO. Der Vorwurf der BlnBDI lautete, dass der Immobilienkonzern personenbezogene Mieterdaten unrechtmäßig lange aufbewahrt und keine angemessenen Maßnahmen zur Löschung ergriffen hatte.

Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens erklärte das zuständige Berliner Landgericht den Bescheid zugunsten der Deutschen Wohnen SE für ungültig. Das Gericht war der Ansicht, dass nach deutschem Ordnungswidrigkeitenrecht juristische Personen nur dann direkt sanktioniert werden können, wenn den Unternehmensverantwortlichen ein konkretes Fehlverhalten nach dem gesetzlichen “Rechtsträgerprinzip” gemäß § 30 OWiG nachgewiesen werden kann. Da ein solches Fehlverhalten seitens der Aufsichtsbehörde nicht nachgewiesen werden konnte, hob das Gericht den Bescheid auf. Die zuständige BlnBDI und die Staatsanwaltschaft legten gemeinsam Beschwerde beim Kammergericht Berlin gegen die Einstellung des Verfahrens ein. Die Kammer setzte das Verfahren vorerst aus und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH

Im Gegensatz zum erstinstanzlichen Landgericht Berlin hat sich das Kammergericht Berlin an den Europäischen Gerichtshof gewandt und ein Vorabentscheidungsersuchen gestellt, um zwei zentrale Fragen zur Auslegung von Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO zu klären. Das Kammergericht Berlin wollte vom EuGH im Wesentlichen wissen:

Ob Geldbußen gemäß der DSGVO direkt gegen rechtswidrig handelnde Unternehmen verhängt werden können.
Ob ein Unternehmen den Verstoß, der von einem Mitarbeiter begangen wurde, schuldhaft begangen haben muss oder ob für eine Bestrafung bereits eine objektive Pflichtverletzung ausreicht (sogenannte “strict liability”).

Unternehmen als Adressaten von Sanktionen?

Nach Ansicht des Generalanwalts können Unternehmen direkte Adressaten von Geldbußen sein. Dies sei nicht nur in mehreren Bestimmungen der DSGVO vorgesehen, sondern nach Aussage des Generalanwalts auch ein Schlüsselmechanismus zur Gewährleistung der Wirksamkeit der DSGVO. Der Generalanwalt argumentierte, dass dies aus dem Wortlaut einzelner Normen der DSGVO hervorgehe. Insbesondere Artikel 4, 58 und 83 der DSGVO lassen darauf schließen, dass Sanktionen, insbesondere Geldbußen, direkt gegen juristische Personen verhängt werden können. Die Frage, ob das deutsche Ordnungswidrigkeitengesetz, insbesondere § 30 OWiG, die Anforderungen der DSGVO in dieser Hinsicht ausreichend berücksichtigt, wurde vom Generalanwalt nicht abschließend beantwortet. Er verwies auf das Landgericht Berlin, das diese Frage noch ausreichend klären müsse.

Sanktionen und schuldhaftes Handeln

Dies ist nur der Fall, wenn der Sanktionierung vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln eines Mitarbeitenden des Unternehmens vorausgegangen ist. Ein rechtswidriges Verhalten eines einzelnen Beschäftigten genügt bereits, um gegen das Unternehmen eine entsprechende Geldbuße zu verhängen. Der Generalanwalt ist der Ansicht, dass ein konkreter Nachweis einer Aufsichtspflichtverletzung erforderlich ist, damit das schuldhafte Handeln eines Mitarbeitenden, der nicht zur Führungsriege gehört, den Leitungsorganen zugerechnet und somit sanktioniert werden kann.

Der Generalanwalt erklärt dies wie folgt:
“Es handelt sich schließlich um natürliche Personen, die zwar nicht selbst Vertreter einer juristischen Person sind, aber unter der Aufsicht derjenigen handeln, die Vertreter der juristischen Person sind und die eine unzureichende Überwachung oder Kontrolle über die zuerst genannten Personen ausgeübt haben. Letzten Endes führt die Zurechenbarkeit zu der juristischen Person selbst, soweit der Verstoß des Mitarbeiters, der unter der Aufsicht ihrer Leitungsorgane handelt, auf einen Mangel des Kontroll- und Überwachungssystems zurückgeht, für den die Leitungsorgane unmittelbar verantwortlich sind.”

Damit beantwortet der Generalanwalt auch die Frage, ob bereits eine objektive Pflichtverletzung ausreicht, um eine Geldbuße zu verhängen. Diese Frage verneint der Generalanwalt und erklärt, dass Aufsichtsbehörden keine verschuldensunabhängigen Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können, da einer Geldbuße stets ein zuzurechnendes Verschulden vorausgehen muss. Dies bedeutet, dass Aufsichtsbehörden zumindest im Rahmen des Bußgeldverfahrens ein Verschulden feststellen müssen.

Der Generalanwalt führt dazu aus:
“Was die in der DSGVO vorgesehenen Verpflichtungen betrifft, einschließlich derjenigen, von denen die Verarbeitung von Daten (Artikel 5 DSGVO) und deren Rechtmäßigkeit (Artikel 6 DSGVO) abhängt, erfordert die Beurteilung, ob diese Verpflichtungen erfüllt wurden, einen komplexen Bewertungs- und Beurteilungsprozess, der über die bloße Feststellung eines formalen Verstoßes hinausgeht.”
Falls die Richter dem Votum des Generalanwalts folgen, würde dies bedeuten, dass Bußgelder zukünftig nicht mehr nach dem Prinzip der “strict liability” verschuldensunabhängig verhängt werden können. Die Richter sind zwar nicht an die Empfehlungen des Generalanwalts gebunden, folgen seiner Rechtsauffassung aber in der Regel. Der Zeitpunkt für eine Entscheidung ist derzeit noch nicht bekannt.

Aussage der Berliner Aufsichtsbehörde

Zwischenzeitlich äußerte sich auch die neue Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftragte Meike Kamp auf ihrem eigenen Mastodon-Account und unterstützte die Ansichten des Generalanwalts. Aus ihren Aussagen geht hervor, dass ein Urteil, das die Schlussanträge des Generalanwalts aufgreift, in Deutschland endlich einheitliche Standards für die Verhängung von Sanktionen bei rechtswidrigem Verhalten schaffen würde, wie es in der übrigen EU bereits der Fall ist. Dies würde dem Ziel einer einheitlichen Durchsetzung des europäischen Rechts gerecht werden und die Bußgeldverfahren der deutschen Aufsichtsbehörden erheblich vereinfachen.

Fazit

Bereits jetzt zeichnet sich ab, obwohl das Urteil des EuGH noch aussteht, dass dies erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der Bußgeldverhängung durch deutsche Aufsichtsbehörden haben wird. Die Schlussanträge des Generalanwalts geben eine erste Richtung vor, wie die Richter am EuGH in naher Zukunft entscheiden könnten, und erhöhen bereits jetzt die Spannung, insbesondere in der Datenschutzberatung.

Wenn die Richter des EuGH tatsächlich den Schlussanträgen des Generalanwalts in ihrem Urteil folgen, hätte dies nicht nur erhebliche Auswirkungen auf zukünftige Bußgeldverfahren, sondern auch unmittelbar auf Unternehmen. Obwohl den deutschen Aufsichtsbehörden die Möglichkeit genommen würde, Bußgelder verschuldensunabhängig zu verhängen, dürfte dies in der Praxis nur begrenzt Erleichterung bringen, da zumindest das Vorliegen fahrlässigen Verschuldens seitens der Beschäftigten in den meisten Fällen vermutet werden kann. Der einzige tatsächliche Unterschied besteht darin, dass die Aufsichtsbehörden im Rahmen des Verfahrens zur Überprüfung des Verschuldens einen zusätzlichen Aufwand betreiben müssten.

EuGH: Verstoß gegen Art. 26 und 30 DSGVO unrechtmäßige Verarbeitung?

8. Mai 2023

Vergangene Woche traf der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mehrere Entscheidungen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, die die Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) betrafen (Urteil immaterieller Schadensersatz bei DSGVO-Verstößen- wir berichteten -).

Unter anderem entschied der EuGH (Rs. Az. C-60/22) über die Frage, ob ein unrechtmäßige Datenverarbeitung iSd Art. 17 Abs. 1 lit. d und Art. 18 Abs. 1 lit. b DSGVO vorliege, soweit ein Verantwortlicher seiner Rechenschaftspflicht nach Art. 5 Abs. 2 DSGVO nicht nachkomme. Dabei sei der Rechenschaftspflicht unzureichend nachgekommen worden, aufgrund einer fehlenden Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit (Art. 26 DSGVO) und einem unvollständigen Verzeichnis für Verarbeitungstätigkeiten (Art. 30 DSGVO).

Die Hintergründe

Dem Ausgangsverfahren lag der Antrag des Klägers auf internationalen Schutz beim zuständigen Bundesamt zu Grunde. Seine Entscheidung traf das Bundesamt unter Verwendung einer elektronischen Akten. Anschließend klagte der Betroffene vor dem Verwaltungsgericht gegen die Ablehnung auf internationalen Schutz. Im Rahmen des Prozesse übermittelte das Bundesamt dem Verwaltungsgericht die elektronische Akte des betroffenen Klägers, sodass Bundesamt und Verwaltungsgericht gemeinsam verantwortlich nach Art. 26 DSGVO waren. Aus Sicht des Klägers verstieß das Verwaltungsgericht gegen seine Rechenschaftspflicht aus der DSGVO, indem es weder einen Vertrag über die gemeinsame Verantwortlichkeit vorlegen konnte noch die Übermittlung in das Verzeichnis für Verarbeitungstätigkeiten aufgenommen hatte.

Keine unrechtmäßige Verarbeitung

Der EuGH äußerte sich dazu, ob die fehlende Vereinbarung über eine gemeinsame Verantwortlichkeit und das lückenhaft Verzeichnis für Verarbeitungstätigkeiten eine unrechtmäßige Verarbeitung iSd DSGVO sei. Danach richte sich, ob die betroffene Person ein Recht auf Löschung der verarbeiteten personenbezogenen Daten nach Art. 17 Abs. 1 lit. d und ein Recht auf Einschränkung der Verarbeitung nach Art. 18 Abs. 1 lit. b DSGVO habe.

Dazu führte der Gerichtshof erstens aus, dass ein Verantwortlicher nach Art. 5 Abs. 1 und 2 DSGVO sicherstellen müsse, dass die Datenverarbeitung rechtmäßig sei. Die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung regele die DSGVO nach Art. 6. Demnach müsse eine der nach Abs. 1 lit. a bis f DSGVO alternativ aufgeführten Bedingungen erfüllt sein. Die nach Art. 26 und 30 DSGVO vorgesehenen Pflichten seien aber „(…) nicht zu den in nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 genannten Gründen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung [zu] zählen.“ (EuGH, Urteil vom 4.5.2023, C-60/22 Rn. 59) Die Pflichten nach Art. 26 und 30 DSGVO seien nicht dafür gedacht die Anforderungen an eine rechtmäßige Verarbeitung iSd nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO genauer zu bestimmen.

Zweitens führte das Gerichts aus, dass die Rechtmäßigkeit zu den Grundsätzen der Datenverarbeitung zähle. Stattdessen seien die Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit und das Verzeichnis über Verarbeitungstätigkeiten allgemeine Pflichten des Verantwortlichen.

Außerdem führte der Gerichtshof drittens aus, dass bei einem Verstoß gegen Art. 26 und 30 DSGVO noch keine Verletzung des Grundrechts auf den Schutz personenbezogener Daten vorliege.

Fazit

Abschließend stellte der Gerichtshof fest, dass der Verstoß gegen Art. 26 und 30 DSGVO keine unrechtmäßige Verarbeitung nach Art. 17 Abs. I lit. d und Art. 18 Abs. 1 lit. b DSGVO sei. Da das Urteil erst vor kurzem erschienen ist, bleiben Reaktionen der Aufsichtsbehörden noch abzuwarten.

EuGH-Urteil zum immateriellen Schadensersatz bei DSGVO-Verstößen

4. Mai 2023

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte am 04.05.2023 über eine wichtige Grundsatzfrage zum Schadensersatzanspruch (Rechtssache C-300/21). Dabei ging es insbesondere um die Frage, unter welchen Umständen es bei Verstößen gegen den Datenschutz zu Schadensersatzforderungen kommen kann.

Vorgeschichte

Im Jahr 2017 hatte die Österreichische Post begonnen, Informationen über die politischen Präferenzen der österreichischen Bevölkerung zu sammeln. Mithilfe eines Algorithmus wurden aus verschiedenen sozialen und demografischen Merkmalen “Zielgruppenadressen” definiert, die dann an verschiedene Organisationen verkauft wurden, um ihnen gezielte Werbung zu ermöglichen. Dabei wurden Kundendaten wie Name, Geschlecht und Alter mit verschiedenen Wahl-Statistiken kombiniert, um herauszufinden, welcher politischen Partei ihre Kunden nahestanden. Mehr als zwei Millionen Österreicher waren von diesem Vorfall betroffen.

Der Kläger, der nicht der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten zugestimmt hatte, fühlte sich beleidigt, als die Österreichische Post aufgrund ihrer Datenverarbeitung eine hohe Affinität zu einer bestimmten politischen Partei bei ihm feststellte. Er reichte Klage gegen die Österreichische Post ein, um die Verarbeitung seiner Daten zu stoppen und eine Entschädigung für den immateriellen Schaden zu erhalten, den er erlitten hatte. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gab ihm in Bezug auf die Verarbeitung seiner Daten Recht, lehnte jedoch sein Schadenersatzbegehren ab.

Das Oberlandesgericht Wien bestätigte das erstinstanzliche Urteil und verwies auf die Vorschriften der DSGVO in Bezug auf die zivilrechtliche Haftung. Es stellte fest, dass ein Verstoß gegen die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten nicht automatisch zu einem immateriellen Schaden führe und nur dann einen Schadenersatzanspruch begründete, wenn ein solcher Schaden eine “Erheblichkeitsschwelle” erreiche. In diesem Fall sah das Gericht keine Erheblichkeitsschwelle überschritten.

Vorlage an den EuGH

Der Oberste Gerichtshof Österreichs bestätigte die Entscheidung des Landesgerichts in Bezug auf die Unterlassungsverpflichtung der Österreichischen Post, gab jedoch dem Schadenersatzbegehren des Klägers vorerst nicht statt. Das Verfahren wurde ausgesetzt und der Gerichtshof bat nun den EuGH um Klärung der folgenden Fragen:

  • Erfordert der Zuspruch von Schadenersatz nach Art. 82 DSGVO neben einer Verletzung von Bestimmungen der DSGVO auch, dass der Kläger einen Schaden erlitten hat oder reicht bereits die Verletzung von Bestimmungen der DSGVO als solche für die Zuerkennung von Schadenersatz aus?
  • Bestehen für die Bemessung des Schadenersatzes neben den Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz weitere Vorgaben des Unionsrechts?
  • Ist die Auffassung mit dem Unionsrecht vereinbar, dass Voraussetzung für den Zuspruch immateriellen Schadens ist, dass eine Konsequenz oder Folge der Rechtsverletzung von zumindest einigem Gewicht vorliegt, die über den durch die Rechtsverletzung hervorgerufenen Ärger hinausgeht?

Schadenersatzanspruch setzt Verstoß, Schaden und Kausalzusammenhang voraus

Der EuGH stellte klar, dass die Begriffe der DSGVO für die Anwendung der Verordnung als autonome Begriffe des Unionsrechts anzusehen seien, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen sind. Der Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DSGVO zeige, dass das Vorliegen eines Schadens eine der Voraussetzungen für den Schadenersatzanspruch sei, zusammen mit einem Verstoß gegen die DSGVO und einem Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verstoß. Eine Auslegung, dass jeder Verstoß gegen die DSGVO automatisch den Schadenersatzanspruch eröffnet, würde dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DSGVO widersprechen. Dies werde auch durch den Zusammenhang bestätigt, in den sich diese Bestimmung einfüge, sowie durch die Erläuterungen in den Erwägungsgründen 75, 85 und 146 der DSGVO.

Modalitäten müssen Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz entsprechen

Das Urteil kommt zu dem Ergebnis, dass es mangels einschlägiger Unionsregeln nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats sei, die verfahrensrechtlichen Modalitäten der Rechtsbehelfe, die zum Schutz der Rechte der Bürger bestimmt sind, festzulegen. Dies setze allerdings voraus, dass diese Modalitäten bei unter das Unionsrecht fallenden Sachverhalten nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz). Darüber hinaus dürften sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). Es sei somit Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob die im österreichischen Recht vorgesehenen Modalitäten für die gerichtliche Festsetzung des Schadenersatzes, der aufgrund des in Art. 82 DSGVO verankerten Schadenersatzanspruchs geschuldet werde, die Ausübung der durch das Unionsrecht und insbesondere durch diese Verordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Im Übrigen sei eine auf Artikel DSGVO gestützte finanzielle Entschädigung als „vollständig und wirksam“ anzusehen, wenn sie es ermögliche, den aufgrund des Verstoßes gegen diese Verordnung konkret erlittenen Schaden in vollem Umfang auszugleichen.

Keine Erheblichkeitsschwelle für immaterielle Schäden 

Das Gericht bejaht die Frage, ob nationale Regelungen oder Praktiken, die den Ersatz eines immateriellen Schadens von einer bestimmten Erheblichkeit abhängig machen, mit Art. 82 Abs. 1 DSGVO unvereinbar sind. Die DSGVO definiere den Begriff “Schaden” nicht und lege keine Erheblichkeitsschwelle fest. Die Definition des Begriffs “Schaden” sollte den Zielen der DSGVO in vollem Umfang entsprechen. Eine Erheblichkeitsschwelle würde die Kohärenz der DSGVO beeinträchtigen, da sie je nach Beurteilung durch die Gerichte unterschiedlich hoch ausfallen könnte. Allerdings sei eine betroffene Person weiterhin verpflichtet, nachzuweisen, dass sie einen immateriellen Schaden erlitten habe.

Fazit

Das Urteil aus Luxemburg hat mehrere wichtige Aspekte der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) beleuchtet. Zunächst betont das Gericht, dass das Recht auf Entschädigung gemäß der DSGVO drei kumulative Bedingungen unterliegt: Verstoß gegen die DSGVO, materieller oder immaterieller Schaden infolge dieses Verstoßes und ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verstoß. Daher führt ein bloßer Verstoß gegen die DSGVO nicht automatisch zu einem Entschädigungsanspruch. Diese Interpretation entspricht der Formulierung und den Erwägungsgründen der DSGVO.

Zweitens hat das Gericht klargestellt, dass keine Anforderung besteht, dass der erlittene immaterielle Schaden einen bestimmten Schweregrad erreichen muss, um ein Recht auf Entschädigung zu begründen. Dies bedeutet, dass jeder Art von immateriellem Schaden, unabhängig von seiner Schwere, potenziell zu einer Entschädigung führen kann, wenn die anderen beiden Bedingungen erfüllt sind.

Die Entscheidung des Gerichts ist bedeutend, da sie bestätigt, dass das Recht auf Entschädigung für immaterielle Schäden infolge rechtswidriger Datenverarbeitung eine wichtige Sicherung der Datenschutzrechte von Einzelpersonen darstellt. Es erkennt auch die breite Auffassung zum “Schaden” an, die von der EU-Gesetzgebung übernommen wurde, zu der jegliche Art von Schaden gehört, den eine Person erleidet. Das Gericht betonte jedoch auch, dass die DSGVO keine spezifischen Regeln zur Bewertung von Schäden enthält und es den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleibt, den Umfang der in diesem Zusammenhang zu leistenden Entschädigung festzulegen. Solange die Grundsätze der Gleichwertigkeit und Wirksamkeit eingehalten werden, sind die Mitgliedstaaten frei, die detaillierten Regeln für Maßnahmen zur Sicherung der Rechte festzulegen, die Einzelpersonen aus der DSGVO ableiten, und insbesondere die Kriterien zur Bestimmung des Umfangs der in diesem Zusammenhang zu zahlenden Entschädigung.

Insgesamt unterstreicht dieser Gerichtsbeschluss die Bedeutung des Schutzes der Datenschutzrechte von Einzelpersonen und der Gewährleistung wirksamer Abhilfemaßnahmen für jeglichen Schaden, der als Folge rechtswidriger Verarbeitung personenbezogener Daten erlitten wurde. Er hebt auch die Notwendigkeit hervor, dass die Mitgliedstaaten klare und wirksame Mechanismen zur Bestimmung von Entschädigungen in Fällen von immateriellen Schäden infolge von DSGVO-Verstößen schaffen.

Pages:  1 2 3
1 2 3