Schlagwort: Kfz-Kennzeichen-Scanning

Bundeskabinett setzt sich für die automatisierte Erfassung von Kfz-Kennzeichen ein

27. Januar 2021

Die Bundesregierung will nun die erforderliche Rechtsgrundlage schaffen, die es erlaubt, automatisierte Kennzeichenlesesysteme (AKLS) im öffentlichen Verkehrsraum zu Fahndungszwecken zu nutzen. Doch welchen datenschutzrechtlichen Bedenken begegnet der vom Bundeskabinett bereits gebilligte Gesetzentwurf?

Automatisierte Kennzeichenerfassung: Die Ausgangslage

Das Thema einer massenhaften und undifferenzierten Erfassung von Kfz-Kennzeichen ist schon lange im Gespräch. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich Ende 2018 erneut mit der Verfassungsmäßigkeit von automatisierten Kfz-Kennzeichenkontrollen beschäftigt (Beschl. v. 18.12.2018, Az. 1 BvR 142/15 und Beschl. v. 18.12.2018, Az. 1 BvR 3187/10).

Hierbei ging es jedoch um Rechtsgrundlagen aus drei Landesgesetzen (Bayern, Hessen und Baden-Württemberg).

In Abweichung seiner bisherigen Rechtsprechung stellte das BVerfG damals letztlich fest, dass die automatisierte Kennzeichenerfassung einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung begründe. Dieser gelte für alle Personen, deren Kennzeichen in die Kontrolle einbezogen werden. Zuvor hatte das Gericht einen Eingriff lediglich im Falle eines Treffers angenommen.

Da ein solcher Eingriff nur durch ein verhältnismäßiges Gesetz gerechtfertigt werden könne, sei zwingende Voraussetzung für polizeiliche Kontrollen grundsätzlich „ein objektiv bestimmter und begrenzter Anlass“. Um engmaschige Grenzen für die Kennzeichenkontrolle sicherzustellen, müssten die Regelungen eine Beschränkung auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse aufweisen.

Das Problem ist bis heute: Es gibt keine verhältnismäßige Rechtsgrundlage für eine Kennzeichenkontrolle zu Strafverfolgungszwecken. Dies soll der Gesetzesentwurf des Bundeskabinetts ändern.

Was besagt das neue Gesetz?

Der Gesetzentwurf sieht im neuen § 163g StPO zunächst eine „im öffentlichen Verkehrsraum örtlich begrenzte“ Erhebung des „Kennzeichen von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung“ vor.

Die Erhebung darf „durch den Einsatz technischer Mittel automatisch“ erfolgen, „wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ für die Begehung einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ vorliegen und angenommen werden kann, „dass diese Maßnahmen zur Ermittlung der Identität oder des Aufenthaltsorts des Beschuldigten führen“. Hierzu „darf die Datenerhebung nur vorübergehend und nicht flächendeckend erfolgen“.

Die so erhobenen Daten dürfen mit Kennzeichen von Kraftfahrzeugen automatisch abgeglichen werden, die auf den Beschuldigten oder auf mit ihm in Verbindung stehende Personen zugelassen sind oder genutzt werden. Letzteres ist jedoch nur zulässig, wenn der Aufenthaltsort des Beschuldigten nicht auf andere Weise oder nur schwierig zu ermitteln ist.

Die automatische Erfassung der Kennzeichen muss – vorbehaltlich des Vorliegens von Gefahr im Verzug – schriftlich begründet von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Außerdem ist die Erfassung unverzüglich zu beenden, wenn die Voraussetzungen des § 163g StPO nicht mehr erfüllt sind.

Was bedeutet das datenschutzrechtlich?

Zunächst müssten die Anforderungen DSGVO-konform sein. Insbesondere der Art. 5 DSGVO ist entscheidend. Demnach muss ein rechtmäßiger Zweck gegeben sein (“Zweckbindung”) und die zu erhebenden personenbezogenen Daten müssen auf das notwendige Maß beschränkt werden („Datenminimierung“). Zuletzt darf eine Speicherung der Daten nur so lange erfolgen, wie dies für den verfolgten Zweck erforderlich ist (“Speicherbegrenzung”). Die Daten müssen auch ausreichend geschützt sein.

Bedeutung für den Beschuldigten:

Für eine Einschätzung sollte zwischen den von der Erfassung der Kennzeichen betroffenen Personen unterschieden werden. Hierbei handelt es sich zunächst um einen Beschuldigten, nach dem gefahndet wird.

Datenschutzrechtlich wird für eine Datenerhebung im neuen § 163g StPO ein rechtmäßiger Zweck festgelegt, nämlich die Strafverfolgung. Der Zweck ist nach den Maßgaben des BVerfG wohl auch als objektiv bestimmter und begrenzter Anlass zu bewerten, vor allem, wenn die Erhebung von Kennzeichen zur Aufklärung von Straftaten nur dann erfolgen darf, wenn der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung gegeben ist.

Hierunter sind Straftaten zu verstehen, die mindestens im Bereich der mittleren Kriminalität liegen. Diese stören den Rechtsfrieden drastisch und sind dazu geeignet, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.

Die Regelung, die Erhebung unverzüglich zu beenden, wenn die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, ist direkter Ausfluss des Art. 5 DSGVO: Ohne rechtmäßigen Zweck darf eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten nicht erfolgen.

Bedeutung für alle anderen:

Neben dem (strafrechtlich) Beschuldigten, sofern er dann auch unter den (datenschutzrechtlich) Betroffenen fällt, sind jedoch alle anderen Verkehrsteilnehmer nicht aus den Augen zu verlieren. Diese sind primär gerade keine Beschuldigten in einem Strafverfahren. Ihre personenbezogenen Daten werden aber „trotzdem“ erfasst. Die neue Regelung stellt auch für die Datenverarbeitung der übrigen Verkehrsteilnehmer eine datenschutzrechtliche Rechtsgrundlage dar. Zum Zweck der Strafverfolgung werden auch diese personenbezogenen Daten erhoben. Fraglich bleibt, ob der neue § 163g StPO auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt und eine Rechtfertigung für die vielen Eingriffe in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung darstellt, gerade im Hinblick auf die hohe Fehlerquote beim Kennzeichenabgleich.

Aber auch bei geringerer Fehlerquote sucht die Polizei aufgrund der hohen Diskrepanz zwischen Anzahl der Beschuldigten und anderen Autofahrern sprichwörtlich die Nadel im Heuhaufen. Man könnte sich die Frage stellen, wie die geplante Einführung einer weiteren Maßnahme zur „Massenüberwachung“ zu der vom BVerfG diesbezüglich einst angedachten „Überwachungsgesamtrechnung“ passt. Es bleibt also abzuwarten, ob diese praktischen Probleme bei der Abwägung zwischen einer effektiven Strafverfolgung und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Eingang finden.

Polizei hat Kennzeichen gespeichert und ausgewertet

13. Mai 2019

Die Polizei Bayerns hat offenbar die Nummernschilder sämtlicher Fahrer auf Autobahnen aufgezeichnet und ausgewertet.

Seit 2018 hat die bayerische Polizei offenbar in mehreren Fällen entsprechende Autofahrerdaten erhoben und gespeichert, obwohl die automatisierten Lesegeräte offiziell nur zur gezielten Suche nach Fahndungsausschreibungen eingesetzt werden sollten.

So gab es im Jahr 2018 acht und 2019 drei Fälle, in denen im Anschluss an erfolgte Straftaten, die Kennzeichen sämtlicher Autofahrer auf nahegelegenen Autobahnen eingescannt und die Fahrzeuge fotografiert wurden. Nach einem konkreten Nummernschild eines Fluchtwagens sei dabei aber gerade nicht gefahndet worden.

Anstatt die erfassten Kennzeichen nach dem Abgleich mit den Fahndungslisten wieder zu löschen, sind diese für die spätere Auswertung fortwährend gespeichert worden.

Erst im Februar hatte das Bundesverfassungsgericht die Praxis solcher Kontrollen unter anderem in Bayern teils als Verstoß gegen das Grundgesetz gewertet (wir berichteten).

Bundesverfassungsbeschwerde gegen Kennzeichen-Scanning abgewiesen

14. Juli 2016

Einem aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zufolge, haben die Karlsruher Richter die Verfassungsbeschwerde des Datenschutzexperten der Piratenpartei, Patrick Breyer, gegen den mit der PKW-Maut geplanten massenhaften Abgleich von KFZ-Nummernschildern nicht zur Entscheidung angenommen. Im Mai 2016 hatte Breyer Verfassungsbeschwerde mit der Begründung eingelegt, dass die für die Mauterhebung erforderliche Überwachungsstruktur die verdachtslose Erfassung von personenbezogenen Daten und damit die Erstellung von Bewegungsprofilen der Autofahrer begünstige. Die neu in das Infrastrukturabgabengesetz eingefügten §§11 Abs. 2, 3 bzw. 13 Abs. 1, 3 und 4, die den massenhaften Abgleich rechtfertigen sollen, würden – so Breyer – daher gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen das Allgemeine Personlichkeitsrecht eines jeden Autofahrers, verstoßen. Die Karsruher Richter begründeten ihre Entscheidung nicht.

Bereits im Sommer 2015 hatte die EU-Kommission Bedenken gegen die Einführung des geplanten Maut-Systems in Deutschland geäußert und ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die EU-Kommission ist der Auffassung, dass das Infrastrukturangabengesetz Ausländer gegenüber Inländern benachteilige, da Inländer die Maut-Gebühr über eine niedrige KFZ-Steuer ausgleichen können sollen. Dies verstoße gegen das Diskriminierungsverbot. Die Bundesregierung hatte daraufhin die Einführung der KFZ-Maut bis zu einer Entscheidung der EU-Kommission ausgesetzt.

 

USA: Weiterer Schritt Richtung Totalüberwachung

7. Mai 2015

Wie Medien berichten, will das US-Ministerium für Heimatschutz sämtliche Kfz-Kennzeichen in den USA überwachen lassen.

Um dies zu ermöglichen, hat das Ministerium in einer Art Ausschreibung um konkrete Angebote von privaten Firmen gebeten, die technisch und logistisch in der Lage sind, täglich Millionen von Kennzeichen zu scannen und die Daten zu speichern. Das Ministerium erwägt, Lizenzen für rund 3.000 Rechner zu erwerben, von denen auf die erfassten Daten überall im Land zugegriffen werden kann. Wie heise online mitteilt, sollen die privaten Überwachungsfirmen die erfassten Daten nahezu ohne Löschungsfristen, also für immer, speichern dürfen. Wenige Ausnahmen beschränken sich auf Daten im Zusammenhang mit Straftaten. Hier sollen die Daten „nur“ bis zur Verjährung der Tat gespeichert werden dürfen. Bei anderen, nicht näher beschriebenen, „Untersuchungen“ solle die Vorhaltefrist fünf Jahre betragen dürfen.

Eine Rechtfertigung für ein solch umfangreiches Vorgehen und tiefes Eingreifen in die Privatsphäre seiner Bürger sieht die Behörde in der – jedenfalls in den USA scheinbar stets greifenden – Bedrohung der nationalen Sicherheit. Natürlich verfolgt das Ministerium ausschließlich Zwecke zum Vorgehen gegen Waffenschmuggel, Drogenschmuggel und illegale Einwanderung. Aber auch Kinderpornographie, Kindermissbrauch, Betrug und Finanzverbrechen – also eigentlich nahezu alle Verbrechen – sollen durch das Erfassen, Speichern und Auswerten von Fahrzeugdaten bekämpft und eingedämmt werden, wie heise online weiter mitteilt.

Nachrichten wie diese werfen die Frage auf, ob es in den USA denn überhaupt keine Interessenabwägungen gibt und ob der Zweck wirklich alle Mittel heiligt.

Bundesweites massenhaftes Erfassen von Kfz-Kennzeichen

23. Oktober 2014

Wie Medien berichten, werden in Deutschland massenhaft Kfz-Kennzeichen gescannt, ohne dass die Fahrer davon wissen.

Der NDR und die Süddeutsche Zeitung wollen erfahren haben, dass Hersteller von Erfassungssystemen rund 80 Campingplätze und allein in diesem Jahr 200 Parkhäuser und Parkplätze mit entsprechenden Systemen ausgerüstet haben.

Die Betreiber von Campingplätzen und Parkhäusern wollen dadurch Missbrauch, zum Beispiel durch Parkmanipulationen auf ihren Geländen verhindern. Der Betreiber des Phantasielandes in Brühl bei Köln setzt ebenfalls ein System ein, um Kennzeichen zu scannen. Laut Geschäftsführer Ralf-Richter Kenter werden aber nur die ein- bis dreistelligen Regionskürzel erfasst, um zu ermitteln, woher die meisten Besucher kämen.

Im Jahr 2008 hat das Bundesverfassungsgericht Polizeibehörden bereits das massenhafte Erfassen und Speichern von Kfz-Kennzeichen untersagt, weil es nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Was die Verwendung entsprechender Systeme durch private Betreiber angeht, so gibt es bislang keine einheitliche Regelung. Datenschützer sehen die Verwendung der Systeme durch Private äußerst kritisch. Kennzeichen sind wie andere personenbezogene Daten gesetzlich geschützt. Über diese Daten lassen sich Rückschlüsse auf den Halter ermitteln. Auch liegt keine Einwilligung der Betroffenen vor. In vielen Fällen wissen sie noch nicht einmal, dass ihr Kennzeichen gescannt wird und erst recht nicht, wie lange die Daten gespeichert werden und was darüber hinaus mit ihnen geschieht.

Bayerisches Kfz-Kennzeichen-Scanning vor dem Bundesverwaltungsgericht

27. November 2013

Der Informatiker Benjamin Erhart klagte in der Vergangenheit vor dem Verwaltungsgericht München und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen das massenhafte automatische Erfassen von Autokennzeichen im Freistaat – diverse Medien berichteten hierüber.

 

Die bayerischen Gerichte erklärten die Maßnahme für zulässig. Nun liegt der Fall beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, wie heise mitteilt.

 

In Bayern werden auf 30 Fahrspuren an 12 Standorten alle Kfz-Kennzeichen gescannt und mit Fahndungsdateien abgeglichen. Im Monat kommen Medienberichten zu folge somit circa acht Millionen Scanns zusammen; die allermeisten freilich von unbescholtenen Bürgern. Der Kläger sieht hierin einen unverhältnismäßigen Eingriff in Persönlichkeitsrechte und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Der Freistaat entgegnet, dass in keinerlei Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingegriffen werde, da der Abgleich unverzüglich vorgenommen werde und im Falle eines negativen Ergebnisses die Daten sofort und ohne Spuren zu hinterlassen gelöscht werden. So komme es laut Heise weder zu Missbrauch noch zu einer Überwachung.

 

Wie Medien berichten, bemängeln Kritiker vor allem die mäßige Erfolgsquote des Verfahrens. Diese solle nicht höher liegen als bei zufälligen Kontrollen während einer Schleierfahndung; das Scanning melde fast 99 % unschuldige Autofahrer.